Die Informatik-ikone

Text: Sandra-Stella Triebl
Fotos: Zattoo

DAS FILMREIFE LEBEN DER BEA KNECHT „Kennst du Bea Knecht von Zattoo, weisst du, dem Internet- TV? Die war früher ja ein Mann“, tuschelte mir vor einigen Monaten am Rande einer Konferenz jemand zu. Ich nickte. „Ja, kenne ich. Ich interviewe sie demnächst für Ladies Drive“, antwortete ich trocken. „Eine verrückte Story, oder?“, versuchte die […]

Bea-KnechtDAS FILMREIFE LEBEN DER BEA KNECHT

„Kennst du Bea Knecht von Zattoo, weisst du, dem Internet- TV? Die war früher ja ein Mann“, tuschelte mir vor einigen Monaten am Rande einer Konferenz jemand zu. Ich nickte. „Ja, kenne ich. Ich interviewe sie demnächst für Ladies Drive“, antwortete ich trocken. „Eine verrückte Story, oder?“, versuchte die Dame mir zu entlocken. „Ja, eine tolle Erfolgsgeschichte, dieses Zattoo – ich nutze das übrigens bei mir im ganzen Haus, ich hab nicht mal mehr einen Fernseher“, meine Antwort darauf. Bea Knecht, die 46-jährige Inhaberin von Zattoo, gab zu ihrem Coming-Out sowie ihrem Transgender-Sein bereits einige Interviews. Mich interessiert viel mehr der Mensch, weniger seine Hülle. Und Bea Knecht ist ein mehr als nur heller Kopf. „Du erinnerst mich an Truman Capotes Holly Golightly“, sagte sie fast schon liebevoll bei der Verabschiedung nach dem ersten Gespräch zu mir. Ihre Stimme ist tragend. Präsent. Ihre roten, glatten Haare fallen ihr locker über die Schultern. Ihr Blick ist neugierig. Das haben intelligente Menschen so an sich.

Zum Interview treffen wir uns in einem Restaurant und ich lerne eine hochgradig intelligente, unglaublich zielgerichtete, aber auch eine sehr weiche und verletzliche Seite an ihr kennen. Etwas, das ich selbst sehr schätze an Menschen und Leaderpersönlichkeiten. Jemand, der auch Täler durchschritten hat, darf Dinge im Leben lernen, die ihn facettenreicher werden lassen – und sanfter, nicht mehr ganz so getrieben. Aufgewachsen ist Bea Knecht im Aargau als fünftes von fünf Kindern mit elf Jahren Abstand zum Nächstgeborenen. Die Eltern engagiert im eigenen Transport- und Reisebürounternehmen. Dieser Umstand hat sie nach eigenen Aussagen während ihrer Kindheit, aber auch ihrer Jugend am meisten geprägt und beeinflusst. „Ich fühlte mich unvorstellbar alleine. Die Eltern waren unternehmerisch sehr gefordert. Ich stand mehrmals vor verschlossener Haustüre zu Hause, weil niemand da war. Ich glaube, deshalb habe ich Leute wahnsinnig gerne und suche ihre Nähe – weiss aber auch mit dem Alleinsein gut umzugehen. Das musste ich ja lernen als Kind.“ Bea erzählt ohne falsches Pathos, und dennoch spürt man, wie sehr ihr diese Einsamkeit zusetzte. Man glaubt ihr auch, wenn sie hinzufügt, dass sie ihren Eltern gegenüber Dankbarkeit empfindet und jeden Tag mit ihrer Mutter spricht.

Beruflich wusste sie lange nicht, wohin der Weg sie führen würde – bis zu ihrem 17. Lebensjahr. „Plötzlich wusste ich erstaunlich präzise, was ich machen wollte.“ Ihr Berufswunsch: Computerwissenschaften. Wirklich bis ins Detail war ihr wohl nicht klar, um was es sich in diesem Fach tatsächlich handelte, aber der Plan stand. Inspiriert dazu wurde sie erstaunlicherweise von einem Problem mit der Buchhaltungs-Software im elterlichen Betrieb. Schon in diesem jungen Alter waren ihr die Zusammenhänge klar – wer keine Kontrolle über seine Einnahmen und Ausgaben hat, kann die Firma nicht sauber führen. Und wenn die Software dazu nicht funktioniert, kann das ganz schön haarig werden. Nun, gesagt, getan. Das Studium führte sie in die USA , genauer nach Berkeley, und schon bei der Bewerbung für einen Studienplatz stach sie mit hervorragenden Noten heraus. Als wir über ihre Studienzeit sprechen, übers Studentenleben, zuckt sie, ohne das Gesicht zu verziehen, mit den Schultern: „Ich weiss eigentlich nichts zu berichten aus dieser Zeit – ich weiss nur, dass ich nonstop gearbeitet habe, weil das Studium damals derart fordernd war.“ So sind ihre Erinnerungen ans Studium an der amerikanischen Elite-Universität ambivalenter Natur. Doch Bea weiss, dass sie sich durchbeissen kann. Vom MBA des IMD in Lausanne, den sie kurz darauf in Diensten der UBS absolvierte, sagt sie, er sei zwar intensiv gewesen, aber nicht derart fordernd wie ihr Studium. Was sich Bea Knecht jemals im Leben vornahm, wurde auch genauso umgesetzt.

Mit Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und Perfektion. Sie selbst bezeichnet dies als erschreckend. „Wenn du dir überlegst, was man deshalb alles verpasst hat …“ Aber die 46-jährige Unternehmerin ist niemand, der mit Wehmut und weinendem Auge zurückblickt. Dies, obwohl ihr Leben und ihre steile Karriere so manche Zäsur erfuhren. Nach dem MBA wechselte Bea in die Reihen des Strategieberaters McKinsey, und genau in dieser Zeit sollte ihr Leben eine jähe Wendung nehmen. „Ich hatte einen Riverrafting-Unfall, nur einen Monat nachdem ich mit McKinsey in die USA zurückgekehrt war. Und seither bin ich eigentlich eine andere Person.“ Es begann mit einem fürchterlichen Reflux, der sich nach dem Unfall einstellte. Die Schmerzen waren zeitweise schier unerträglich. „Du hast das Gefühl, du hast eine Herzattacke.“ Man operierte sie, doch danach ging es ihr noch schlechter als zuvor. Erst sieben Jahre später, nachdem sie selbst unzählige Bücher gewälzt und sich Stunden über Stunden selbst im Internet informiert hatte, war klar, was sie so quälte: eine Gluten-Intoleranz. „Ich hab mich quasi dreimal am Tag vergiftet, weil ich nicht wusste, dass ich das hatte. Es war erodierend!“ Und in dieser schweren Zeit entschloss sich Bea, in die Selbstständigkeit zu gehen. Ich frage nach, woher sie die Kraft dazu nahm. „Ich war bei McKinsey ein „high performer“, machte eine richtig steile Karriere. Ich wusste aber, dass ich meine Leistung aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht aufrecht halten konnte. Darum war es sinnvoll, in die Selbstständigkeit zu gehen.“

Die Firmengründung erfolgte noch in den USA . Spannende Mandate und gute Aufträge liessen nicht lange auf sich warten. Die guten Kontakte aus McKinsey-Zeiten waren vorhanden, ihr Renommée unbefleckt. Ums Business Development musste sich die Neo-Unternehmerin entsprechend nie wirklich kümmern, und so verlief ihr Gang in die Selbstständigkeit erwartungsgemäss erfolgreich. Nachdem Bea ihre gesundheitlichen Probleme in den Griff bekam, wollte sie nach eigenen Worten mal wieder richtig Gas geben. Nun sollte sich in ihrem Leben alles zum Guten wenden – und zusammenfügen. Die erste Idee, einen Algorithmus für ein internet-basierendes TV-Erlebnis zu nutzen, kam ihr bereits 1990. „Damals publizierte ein amerikanisches Forschungslabor die neuen HD-TV-Spezifikationen. Ich hab mir das angeschaut und gedacht: Das ist, als wenn der TV zum Computer wird aufgrund der hohen Leistungsdaten – und umgekehrt. Der Computer wird zum TV. Mir war damals schon klar, was passieren würde, sobald die Geräte und Leitungen stark und leistungsfähig genug waren.“ Die Informatikerin erzählt mit flammender Begeisterung von einer neuen Komprimierungssoftware und dem Zeitpunkt, wo ihr klar wurde: That’s the moment! Den Algorithmus programmierte ihr ehemaliger Professor aus den USA. Die kommerzielle Umsetzung namens Zattoo verdanken wir indes der Innovationsfähigkeit von Bea Knecht. „Er kam damals auf mich zu mit diesem Übertragungsprotokoll. Und ich wusste sofort, dass wir das gewinnbringend nutzen können. Ich baute die Firma auf, schuf ein Produkt, holte Investoren an Bord.“ Mittlerweile bewegt das Internet-Fernsehen Zattoo monatlich fast zehn Petabite – eine schier unvorstellbare Datenmenge! Was mit einer technologischen Innovation begann, verschob sich über die Zeit und seit der Gründung von Zattoo 2006 graduell in Richtung Content-Rechte und Monetarisierung durch Werbung und Nutzer-Features.

Heute gehört Bea Knecht das Unternehmen Zattoo zur Mehrheit. Das Web-TV bietet seine Dienste mittlerweile in Deutschland, der Schweiz, Grossbritannien, Dänemark, Spanien und Frankreich an. In den Hauptmärkten Deutschland und Schweiz erreicht es monatlich rund zwei Millionen aktive Nutzer. Das Angebot umfasst in der Schweiz 140 TV-Kanäle, in Deutschland rund 60. Insgesamt sind mehr als 14 Millionen Nutzer bei Zattoo registriert – 40 Mitarbeiter sind an den beiden Standorten der Firma in Zürich und Ann Arbor, Michigan, beschäftigt. „Wir waren die ersten, die ein Produkt angeboten haben, über welches man via Internet flüssig fernsehen konnte. Du musst kein Informatiker sein, um Zattoo zu nutzen, sondern nur herunterladen, einschalten – und den Kanal wechseln“, lächelt die 46-Jährige mit strahlenden Augen. „Bist du stolz auf das, was du mit Zattoo geschafft hast?“, will ich wissen. „Nicht besonders“, antwortet Bea leise. „Ich bin nur stolz auf das Überleben der Firma, das kann ich dir sagen!“ Denn mittlerweile hat sich auch Konkurrenz auf dem Markt breitgemacht. Oft kopiert, aber bisher nie erreicht, könnte man bisweilen resümieren, denn die meisten Anbieter im Konkurrentenfeld programmieren selbst nicht. Das sei, wie wenn man als Chocolatier die Schokolade nicht selbst herstellt. „Wir sind da anders. Wir sind hardcore“, urteilt die Zattoo-Chefin prägnant und berichtet stolz, wie durchtrainiert und gut ihr gesamtes Team ist. Ob Bea Knecht wohl ein strenger Chef ist? – Sie selbst meint dazu nur: „Ich bin intellektuell sehr aggressiv. Menschlich aber sehr human. Wenn ich allerdings ein Problem habe, lasse ich nicht los, bis ich eine Lösung hab.“

Ihre Stimme hallt von den weissen Wänden des leeren Restaurants, in welchem wir Platz genommen haben. Vermutlich würden ihre Mitarbeiter wohl meinen, sie sei schwer zu befriedigen. Aber sie fördere Mitarbeiter auch – und beteilige sie am Unternehmen. „Ich bin kein Patron, der sagt, wo es lang geht. Ich arbeite eher un-hierarchisch, was aber nicht mit chaotisch zu verwechseln ist. Aber bei uns gelten die Argumente und nicht die Hierarchie.“ Führung beschreibt die smarte Unternehmerin in der Folge als eine Art Tanz. Man muss sich selbst wiederfinden im Unternehmen, klare Prozesse schaffen und immer eine offene Tür haben – zudem müsse man seine Leute immer aktiv um ihre Meinung fragen. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass Bea Knecht für ihr Unternehmen viele Wachstumsmöglichkeiten sieht. „Kann ich denn auch bald Zattoo-Aktien kaufen?“ – „Nein, kannst du nicht. Wir haben nur wenig private Aktionäre – die sind alle independantly wealthy. Unser Geschäft ist high risk. Das wollte ich niemandem zumuten.“ Bea Knecht weiss ganz genau, was sie will. Und ist nie zu schüchtern, dies auch in Worte zu packen und auszusprechen. Sie will etwas bewegen, womöglich auch ihre Fussabdrücke hinterlassen. Nicht nur mit Zattoo, sondern auch noch mit einem Wohnungsbauprojekt in Berlin. Denn sie sieht in einigen Jahren wieder mehr Freiheiten auf sich zukommen. Und um vorzusorgen, habe sie schon mal ein neues Projekt initiiert. „Ich bin niemand, der Golf spielt. Und es hat mich schon immer interessiert, für Leute Lebensraum zu gestalten. Also bin ich meinen Interessen nachgegangen und hab mich nach einem Projekt im Development-Bereich umgesehen.“ Die Energie dieser Frau ist wahrlich kaum zu toppen, geschweige denn zu stoppen. Und dieses Wohnbauprojekt kommt ihrem hellen Geist sehr entgegen, denn sie sagt selbst über sich, dass sie einen 3D-Chip im Kopf habe, der sie mental durch Räume spazieren lasse. „Das ist für mich wie Sudoku. Es beruhigt mich.“ So zeichnet Bea in jeder freien Sekunde, erstellt Skizzen und generiert somit noch eine zusätzliche Einnahmequelle, was ja auch nicht zu verachten ist. Gleichzeitig mache sie damit etwas „Gescheites“, meint sie. Gemeinsam mit einem Architekten setzt sie ihre Ideen nun in Berlin in die Tat um.

Geld ist ihr wichtig, erzählt sie mir später. Aber sie mache nichts nur wegen des Geldes. Sondern wegen der Lösung eines Problems. Was sie antreibe, sei das Konturieren, Rekonstruieren, Erfinden und Weitergehen. Sie sagt dies, ohne gross darüber nachdenken zu müssen, und ist sich ihrer Stärken ganz offensichtlich bewusst. Doch welche Momente sind es, die Bea Knecht so richtig glücklich machen? – „Mein glücklichster Moment ist dann, wenn ich nicht getrieben bin.“

Bea-Knecht-outsideMenschen mit einem aktiven Oberstübchen werden häufig von ihrem eigenen Intellekt getrieben, von den eigenen Ideen überrannt, strotzen vor Energie und, wie in diesem Fall, auch vor einem durchaus gesunden Selbstbewusstsein. Am Ende unseres Gesprächs wird mir bewusst, dass ich jemanden vor mir habe, der schon mit 17 einen Plan hatte und diesen bis heute mit unbändiger Vehemenz verfolgt. Bea Knecht, Inhaberin von Zattoo, einem Wohnungsbauprojekt in Berlin, sowie Investorin in mittlerweile sieben Unternehmen, ist eine Persönlichkeit, die Sie sich merken sollten – und von der wir mit Sicherheit noch eine ganze Menge hören werden. Denn ich vermute, im Leben von Bea wird es spannend bleiben wie in einem Krimi. „Ich habe bisher sklavisch an meinen Ideen gearbeitet. Nun bin ich zum ersten Mal recht offen. Ach, wenn man sich vorstellt, was in dieser Zeit alles Interessantes passiert ist … aber hab ich mal irgendwo angebissen, bin ich immun für alles andere, und ich bin unfassbar loyal einem Thema, einer Firma oder auch meinen Mitarbeitern gegenüber. Ich versuche das nun aber ein wenig anders anzupacken. Ich lebe weniger in der Zukunft – und mehr in der Gegenwart. Es ist so eine Bescheidenheit, die einem widerfährt. Klingt nach Klischee, oder? – Ist aber so.“

 

Die 46-jährige Bea Knecht ist Inhaberin des Internet-TV-Anbieters Zattoo und überwältigte uns im Interview mit ihrem bestechend scharfen Verstand.

Weiterführende Informationen: www.zattoo.com


Text: Sandra-Stella Triebl
Fotos: Zattoo

Veröffentlicht am Juli 04, 2015

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