Die Ethik Einer Vernetzten Welt

Text: Dörte Welti / Mitarbeit Sandra-Stella Triebl
Fotos: Sonia Molenda

Es ist immer erfrischend, wenn man mit einem Interviewpartner ins Philosophieren gerät, obwohl es vielleicht vom eigentlichen Kern der Fragestellung abweicht. Im Fall von Brian Solis, einer der Keynote Speaker an der kommenden League of Leading Ladies Conference von Ende Oktober 2020 im Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa Interlaken, beginnt es bei unserem Telefonat grade mit dem Wort „smart“ im Thema der Konferenz „It’s a smart world“.

Die Frage ist: Wie smart, also schlau, ist es, in einer „smart world“ zu leben, also einer, die von Technologien geprägt ist? Brian Solis macht seit 30 Jahren nichts anderes, als über die Auswirkungen auf die Gesellschaft genau derselben Technologien zu forschen, die uns einerseits Fortschritt, andererseits aber grosse Probleme bescheren. „Die Technologien machen die Menschen auch weniger smart“, beobachtet der 49-Jährige, „besonders wenn wir auf die Lese- und Schreibfähigkeit in den Medien schauen.“

 

Das Fazit: Was wir gerade tun und zulassen, ist nicht besonders smart.

Wenn man so eine Erkenntnis hat, müsste es ja auch eine Lösung geben für das Problem. „Die sozialen Netzwerke, die Plattformen müssen ihre User beschützen“, findet Brian Solis, „egal ob man arbeitet, mit Freunden interagiert oder unterhalten wird, die Technologie muss dafür sorgen, dass das Erlebnis bewusst oder unbewusst ein Gutes ist und der User nicht missbraucht wird, sondern das Gefühl hat, smarter zu werden.“ Derzeit würden die Plattformen eher davon profitieren, dass man sich als Nutzer schlecht fühlt; negative Nachrichten und Sensationsberichterstattung herrschen vor. „Es muss eine Revolution des Modells her“, fordert Brian Solis. „Die Firmen müssen erkennen, dass sie Teil des Problems sind und dass sie einen Weg finden müssen, die Lösung dieses Problems für sich profitabel zu machen. Es muss sich lohnen, sonst passiert nichts.“

Traurig, aber wahr, Geschäfte werden mit der Angst und mit dem Unbehagen gemacht. Genau in dem Bereich forscht Brian Solis: was Hass, Mobbing und Polarisation durch die Internetmedien in den Menschen auslösen. Auch die Unsitte, dass sich alle vergleichen. Wer ist schöner, grösser, schneller, weiter, jeder will so sein wie die Selbstoptimierer, denen er oder sie folgt. Etwas, womit jeder spielt, der sich im Internet präsentiert, wir alle wollen geliebt werden für das, was wir tun. Gesund ist das nicht. Solis spricht sogar von einer Degradierung der Humanität, der Menschheit. Wenn ich keine Likes erhalte, ist mein Leben verwirkt. Das gelte für private Individuen genauso wie für Firmen und Personen des öffentlichen Interesses. Unsere mentale Gesundheit steht auf dem Spiel, und wenn man das durchdenkt, müsste man eigentlich rigoros den ganzen Wahnsinn abschalten. Dafür ist es natürlich zu spät, also lautet die simple Mission von Brian Solis: „Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen.“ Und das tut er, weltweit. Er reist und hält Vorträge über seine Erkenntnisse, schreibt Bücher darüber, man kann seine Talks anschauen, er spricht eine klare, unmissverständliche Sprache, ohne missionieren zu wollen. Er denkt pragmatisch, weiss, dass wir lernen müssen, die Technologien zu unserem gesunden und eben smarten Vorteil zu nutzen. Er praktiziert das selbst, hat zwei kleine Kinder, sieben und vier Jahre alt, denen er den richtigen Umgang mit den Technologien jetzt schon beibringt. „Das Internet wurde nicht als schlechter Ort designt“, doziert Solis, „aber es gibt schlechte Orte und Menschen im Internet.“

Besonders erstaunlich ist eigentlich, dass Brian Solis bereits seit 1997 diese Überlegungen anstellt, forscht und seine Erkenntnisse öffentlich und für jeden zugänglich macht, es ist nicht so, dass nur ein kleiner exklusiver Kreis davon weiss. Zuvor hatte er selbst als Programmierer und Entwickler von Databases in einer Werbe- und Marketingagentur gearbeitet, hatte Firmen unterstützt, sich zu positionieren, gehörte zu den Ersten, die die Themen Digitales und Social Marketing verkauften. Er kam an einen Punkt, wo er die gängige Praxis infrage stellte und sich wunderte, wohin das alles führt. Seit 23 Jahren versucht der digitale Anthropologe jetzt, darauf hinzuweisen, was sich die Menschheit mit dem falschen Gebrauch der smarten Technologien an Schaden zufügt. Ist er frustriert, dass es vermeintlich schlimmer wird? „Nein, ich beobachte, dass die Aufmerksamkeit grösser wird. Früher gab es nicht genug Stimmen, die die negativen Effekte beim Namen genannt und ausgesprochen haben, heute wird das mehr und mehr.“ Trotzdem ein mühsamer Weg. Er versteht sich auch nicht als Missionar, als Bekehrer, sondern als einer, der mit Fakten überzeugen will. Was wollte er eigentlich als Kind werden? Forscher, vermutet man. „Ich weiss es wirklich nicht mehr“, lacht Brian Solis, der in der San Francisco Area zu Hause ist, „aber ganz sicher habe ich mir als Kind nicht vorstellen können, dass ich einmal diese Arbeiten und Forschung machen würde.“

Dafür denkt er jetzt umso intensiver. Eine positive Wende passiert laut Brian Solis gerade in der Art und Weise, wie immer mehr Firmen, vor allem Marken und beliebte Brands, mit der aktuellen Situation umgehen wollen. Sie haben erkannt, dass sie ebenfalls Teil des Problems sind, beziehungsweise die Art und Weise, wie sie sich oder wie sich ihre Botschafter in den sozialen Medien präsentieren. Gemeinsam mit Brian Solis suchen sie jetzt nach Strategien, um realistischer und menschenfreundlicher aufzutreten. Wie das genau vor sich gehen soll, ist sein Business, es gibt da auch nicht die eine selig machende Checkliste, die man abhaken kann, und alles ist gut. Es ist ein langwieriger Prozess, der auf den Einzelnen abgestimmt werden muss, sogar Prominente wie Oprah Winfrey bedienen sich seiner Expertise. Neupositionierungen erfordern Kampagnen, Planung, konsequente Umsetzung. Ob am Ende alles gut wird, ist schwer zu sagen, auf jeden Fall aber kann jeder bei sich anfangen. Und wie, das erzählt Brian Solis zum Beispiel als Keynote Speaker an der kommenden League of Leading Ladies Conference im Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa Interlaken. Keine Angst: Er steht nicht mit erhobenem Zeigefinger da. „Ich bin nicht der strenge Lehrer, der die Leute für ihre Handlungen verurteilt“, meint Brian Solis, „ich helfe, die Zuhörer zu inspirieren, öffne ihnen die Augen. Und das mache ich mit schockierenden Tatsachen genauso wie mit einer Portion Humor. Die Zuhörer lernen eine andere Sichtweise auf die Problematiken und erkennen vielleicht auch zum ersten Mal, dass auch sie ein Teil des Problems sind. Zusammen können wir das Ruder herumreissen. Wir können Teil einer entscheidenden Bewegung werden, die die Gesellschaft voranbringt. Wenn wir angsterfüllt auf das Schlimmste hoffen, werden wir den momentanen Zustand nicht verändern.“

Genau, und das wollen wir ja nicht. Im Gegenteil, wir wollen smarter sein.

 

Weiterführende Informationen:
www.leagueofleadingladies.com
www.briansolis.com
Und hier gehts zu Brian Solis neustem Buch (via Orell Füssli)

 

 

Veröffentlicht am Oktober 12, 2020

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