„Mach kei Komeedi“, pflegte Pattis Grossmutter zu mahnen. „Da musst du doch kein Theater machen“, sagte Corinnes Freundin nach dem ersten Liebesaus. „Ist kein Drama, ist ja nichts passiert“, hörten wir als Teenagerinnen nach einem versuchten sexuellen Übergriff. Von klein auf lernten wir, aus Mücken keine Elefanten zu machen. Obwohl nicht nur Kinder die Dickhäuter den Mückensticheleien vorziehen.
Es sterben einfach immer die Falschen aus.
Schon sind wir mittendrin: Wir wollten nur eine Einleitung schreiben, doch bereits malen wir ein dramatisches Bild über Artensterben und klimabedingte Mückenplagen. Big Drama, Bro!
Drama, die aufgeblasene Version des prosaischen Daseins: Story of our lives. Denn Zahlen und Statistiken, glatte Oberflächen und pragmatische Ansätze mögen Probleme lösen. Doch auslösen tun sie nichts. Sonst wären Prozesse wie der Klimawandel oder das Artensterben längst gestoppt. Ohne grosses Drama.
Und doch brauchte es ein dramatisches Ereignis wie Fukushima, um in Deutschland vom Atomstrom abzukommen. Dass dafür weiter in Braunkohle investiert wird, ist eine andere Tragödie. Braunkohle ist für uns ohnehin nur ein Euphemismus für Nazi-Gold.
Um Energie zu sparen, suchen wir schnelle Lösungen. Alkohol sei keine Lösung, wird gewarnt. Chemisch gesehen ist er es sehr wohl. Zum Wohl oder zum Unwohl der Beteiligten. Alkoholische Exzesse von Männern enden oft in Familiendramen – ein euphemistischer Begriff für Femizid. Frauen sind weitaus effizienter im Generieren eines Dramas. Eine regelmässige Hormonschwankung – schon unterstellt man uns, wir seien Drama-Queens. Men’s Problems und Men’s Probleme: Am Ende bluten doch immer die Frauen.
Ergibt es Sinn, stets energiesparende Lösungen zu suchen? Die Direttissima, die gleichbleibende statistische Funktionskurve, ansteigend im 45-Grad-Winkel, verheisst nichts als Langeweile. Hauptsache, es funktioniert. Was uns wirklich bleibt, sind die signifikanten Abweichungen. Im Grunde ist es ähnlich wie beim ungeschützten Sex, kleine Tripperwarnung: Es geht nur dann viral, wenn es am Schluss einen Ausschlag gibt. Das sprichwörtlich Ausschlaggebende ist das Drama. Alles andere ist ein Leben auf Sparflamme.
Da war eine abgebrühte Konzernchefin, deren Gesicht niemand lesen konnte, da sie aalglatt wirkte. Es gab augenscheinlich wenig zu entfalten. Corinne karikierte sie bei einer Show auf der Bühne. Ihr fiel der linke, leicht hochgezogene Mundwinkel auf. Sie zog ihn zeichnerisch noch ein wenig höher, dazu blitzende, wache Augen, was der porträtierten Frau ein verschmitztes Aussehen verlieh. Im Verlauf der Performance verstärkte sich die Mimik – eine klassische Wechselwirkung –, bis sie zum Ende, als sie ihr Konterfei sah, laut herauslachte. Endlich hatten die Mitarbeitenden ein gutes Bild von ihr. Erst die dramatische Übertreibung holte ihr bis anhin verborgenes Gesicht an den Tag. Oder an die Nacht – die beste Zeit für Dramen.
Auf der Bühne der Politik wird oft nur dramatisiert, was irrelevant ist. Dafür wird der Dreck gerne in der entsprechenden Etage unter den roten Teppich gekehrt. Bei einem Auftritt sprach Patti einst die Querelen zwischen zwei lokalpolitischen Kontrahenten an, die seit Jahren kein Wort miteinander gewechselt hatten. Der eine konservativer Schrebergärtner mit Schweizer Flagge, der andere linkskultureller Weltbürger. Den Zwist der beiden – im Grunde ein unbedeutendes Detail um korrekte Heckenpflanzenhöhen – baute sie zu einer absurden Geschichte aus. Da wurde der Schrebergarten des Konservativen besetzt, eine Totenkopf-Flagge gehisst, während die wilden Büsche des Linken auf rechte Winkel zurechtgestutzt wurden. Mord und Totschlag konnten in der parodistischen Überhöhung knapp abgewendet werden. Zum Schluss versöhnten sie sich bei einem Glas Wein. War Alkohol doch eine Lösung?
In diesem Zerrspiegel erkannten sich nicht nur die beiden, auch das Publikum applaudierte zustimmend. Beim anschliessenden Apéro gesellten die zwei sich an den Tisch der Künstlerin und sprachen bei einem Glas über eine mögliche Lösung. Die Dramatisierung hatte sie wieder zusammengebracht.
Wir brauchen das Drama, um den Wahnsinn der Wirklichkeit zu ertragen – und diese in der Überzeichnung zu erkennen. So kann manch gewaltige Tragödie abgewendet werden. In potenziellen Gewaltsituationen tut frau gut daran, auf Drama zu machen. Solange sie noch lebt.
Ein gutes Drama macht aus der Mücke jenen Elefanten, der ohnehin im Raum steht. Nach dem Schlussapplaus ist man auch ohne Alkohol in gelöster Stimmung.

„SCHARFE ZUNGEN“ – PATTI BASLER & CORINNE SUTTER
sind ein Podcast-Duo. Die Universalkünstlerin und Speed-Painterin Corinne Sutter philosophiert, malt auf der Bühne und macht sich ein gutes Bild von ihren Gästen. Patti Basler improvisiert Instant-Protokolle, schreibt und performt sowohl live als auch in Funk und Fernsehen. Zusammen wetzen die vielfach ausgezeichneten Künstlerinnen ihre scharfen Zungen bei Podcasts, in Kolumnen und an Live-Auftritten.