Im Zentrum unserer Berufe steht die Gastfreundschaft, das heisst, Menschen eine Freude zu bereiten und schöne Momente zu ermöglichen.
Nicole Brändle ist seit April 2024 Direktorin des Schweizerischen Hotellerieverbandes HotellerieSuisse. In den letzten fünf Jahren war sie Leiterin Wirtschaftspolitik, Bildung und Sozialpartnerschaft bei HotellerieSuisse sowie Mitglied der Geschäftsleitung.
Sie war zuvor bei verschiedenen Banken in leitenden Positionen tätig – unter anderem als Ökonomin bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und als Direktorin von Swiss Industry Research bei der Credit Suisse. Nicole hat ein Wirtschaftsstudium an der Universität Zürich absolviert, ist CFA Charterholder und hat einen Executive Master of Business Administration am INSEAD in Singapur abgeschlossen.
Nicole Brändle, kannst du dich noch an deinen ersten Besuch in einem Hotel erinnern?
In der Schweiz war ich als Kind vor allem in Ferienwohnungen und auf Campingplätzen unterwegs. Die erste Hotelerfahrung hatte ich im Alter von etwa acht Jahren in Mombasa, Kenia. Da hat sich in verschiedener Hinsicht eine völlig neue Welt eröffnet, die mich bis heute begeistert.
Du hast ursprünglich Wirtschaft und Politik studiert und dich besonders mit Finanzmärkten auseinandergesetzt. Was hat dich daran gereizt, und hilft dir dieses Wissen heute noch?
Ich habe Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Politik studiert, weil ich mehr über die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge und die Gründe für Ungleichheit erfahren wollte. Über meinen ersten Job bei der Nationalbank bin ich mit den Finanzmärkten in Berührung gekommen, und ich habe mich in diesem Bereich weitergebildet, stets aus dem Wunsch, zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Volkswirtschaft und Finanzmärkte sind äusserst quantitativ orientierte Bereiche. Diese Vertrautheit mit Zahlen und die analytische Herangehensweise helfen mir heute noch, auch wenn in meinem aktuellen Job andere Qualitäten stärker gefragt sind.
Kannst du kurz beschreiben, wie dein Arbeitsalltag heute als CEO bei HotellerieSuisse aussieht?
Ich bin nun seit rund drei Monaten im Amt. Diese Zeit war stark geprägt vom Austausch. Eine Priorität war für mich das Gespräch mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verbands. Zudem habe ich mich mit zahlreichen Stakeholdern getroffen, seien es Regionalverbände, Partnerorganisationen, Vertreter aus Wirtschaft und Politik und viele mehr. Es war mir wichtig, mir ein Bild von unserer Organisation aus unterschiedlichen Perspektiven zu machen. Auch nach der Einstiegsphase wird mein Arbeitsalltag stark vom Austausch geprägt sein.
Was sind Schlüsselthemen, die du verstärkt angehen möchtest, und warum?
HotellerieSuisse hat in den letzten Jahren einen starken und sehr positiven Wandel erlebt. Es besteht kein Bedarf, den Verband komplett neu aufzustellen Ich möchte das Erreichte erfolgreich in die Zukunft tragen und den Verband dabei selbstverständlich ständig weiterentwickeln und Prozesse und Produkte kontinuierlich optimieren. Wichtig wird sein, mehr Fokus in den Verband zu bringen und die vielen guten Projekte breiter in der Basis, das heisst bei unseren Mitgliedern, zu verankern. Inhaltlich werden mich die Schlüsselthemen der Branche beschäftigen, unter anderem Fachkräftemangel, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Du hast einige Zeit in Asien gelebt. Welche Erfahrungen bringst du mit?
Wenn man die Möglichkeit hat, empfehle ich jedem, einmal im Ausland zu arbeiten oder zu studieren. Egal um welchen Kulturkreis es sich handelt, ein solcher Perspektivwechsel geht mit vielen Erkenntnissen einher, vor allem auch über sich selbst und die eigenen Prioritäten. Asien ist sehr faszinierend, vieles läuft komplett anders. Die Erfahrung als „Outsider“ hilft in jedem Kontext, wo es darum geht, unterschiedliche Ansichten und Interessen zusammenzubringen und ein gemeinsames Ziel zu erreichen, wie es in unserem Verband häufig der Fall ist.
Es heisst, your network is your net worth. Stimmt das auch für dich?
Networking ist tatsächlich ein wichtiger Teil meiner Aufgabe. Hier geht es aber nicht darum, meinen eigenen Wert zu steigern, sondern für den Verband HotellerieSuisse und seine Mitglieder durch das optimale Zusammenspiel unterschiedlicher Interessengruppen und Partner einen Mehrwert zu bieten.
Du erwähnst in deinem Lebenslauf, dass du eine besondere Rolle während Covid hattest und das Krisenmanagement des Verbandes geführt hast. Willst du mehr dazu sagen?
Wenige Monate nach meinem Start bei HotellerieSuisse ist Covid ausgebrochen und hat unsere Branche auf den Kopf gestellt. In dieser Zeit war der Verband für die Mitglieder und die Branche eine zentrale Anlaufstelle, wenn es um Fragen der Schutzkonzepte, Härtefallentschädigungen, Kurzarbeit und viele weitere ging. Wir kämpften zudem an vorderster Front dafür, dass die Hotels während der gesamten Zeit offen bleiben durften, was uns auch gelang und für die Branche und ihre Fachkräfte absolut entscheidend war.
Das heisst Wirtschaftspolitik und Sozialpartnerschaft standen plötzlich im Vordergrund?
Ja, die politische und rechtliche Arbeit und damit mein Team standen während dieser Zeit für all diese Themen im Fokus. Es galt, sich mit Partner- und Dachverbänden, Politik und Verwaltung sowie Regionalverbänden und weiteren Stakeholdern eng abzustimmen und gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Dies unter dem hohen Druck der Ungewissheit und der finanziellen Belastung der Betriebe. Ich denke, wir haben einen guten Job gemacht und die Wichtigkeit der Verbandsarbeit für die Branche anschaulich aufzeigen können.
Inzwischen geht es in der Businesswelt viel um Work-Life-Blending, flexible Arbeitszeitmodelle, agile, fluide Organisationsstrukturen. Passt das auch zu einem Verein?
Flexible Arbeitszeitmodelle inklusive mobiles Arbeiten sind in Vereinen in der Regel sehr gut umsetzbar. Bei HotellerieSuisse sind wir in dieser Hinsicht sehr fortschrittlich, nicht zuletzt im Sinne der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Fluide Organisationsstrukturen haben es bei uns schwerer. Das Verbandswesen ist komplex. Wir haben zahlreiche fix vorgegebene Abhängigkeiten, von der Politik, den Behörden, Partnerorganisationen und deren Gremien und Entscheidungswegen. Innerhalb dieses relativ starren Gebildes versuchen wir unsere Prozesse und Arbeitsweisen möglichst dynamisch, direkt und einfach zu halten.
Zum Schluss: Was würdest du jungen Frauen mit auf den Weg geben, die in die Hospitality-Branche gehen möchten?
Die Branche bietet unglaublich viele Chancen, sei es wegen ihrer Internationalität oder der grossen Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten bereits in jungen Jahren. Im Zentrum unserer Berufe steht die Gastfreundschaft, das heisst, Menschen eine Freude zu bereiten und schöne Momente zu ermöglichen. Dies ist per se schon sehr erfüllend und gilt für junge Frauen wie Männer gleichermassen.