Ladies Drive: Roland, bist du in geordneten oder chaotischen Verhältnissen aufgewachsen?
Roland Landolf: Meine Kindheit war geprägt von sehr geordneten Verhältnissen. Ich bin in England und Bern wohlbehütet aufgewachsen. Den schulischen Alltag habe ich mit viel Sport und Musik, ich spielte in einer Punkband, ergänzt. Es waren die Zeiten, als eine Abmachung noch galt und kurzfristige Veränderungen Ausnahmen waren.
Für Novartis und Colgate-Palmolive hast du eine steile und globale Karriere eingeschlagen. Was hat dich daran gereizt?
Da ich in England geboren bin, hatte ich immer einen Bezug zum Englischen und zum Internationalen. Deshalb war es immer mein Wunsch, ausserhalb der Schweiz beruflich tätig zu sein. Drei Jahre nach Abschluss meines Betriebswirtschaftsstudiums in Bern war ich sechs Jahre lang in Asien (Singapur und Jakarta) für Novartis Consumer Health tätig. Unser Hauptprodukt war die Ovomaltine. Es war sehr faszinierend, diese Schweizer Flagship-Marke in zehn verschiedenen Ländern mit unter- schiedlichen Kulturen zu vermarkten. Je nach Markt wurden unterschiedliche Positionierungen und Businessmodelle entwickelt, um den spezifischen Konsumentenbedürf- nissen gerecht zu werden. Als Geschäftsführer von Gaba bzw. Colgate-Palmolive habe ich später die Schweizer Marken Elmex, Meridol und Aronal zehn Jahre in verschiedenen Ländern in Europa und Asien vermarktet. Faszinierend war die extrem zahlengetriebene, quartalsorientierte Philosophie des US-Konzerns, welche zu meiner überraschung nachhaltig erfolgreich war.
Warum hat dich das überrascht?
Ich war gewohnt, gute Resultate aufgrund starker Markenkonzepte und Unternehmensphilosophien zu erzielen. Bei den Amerikanern waren klare quantitative Ziele der Ursprung der dann umgesetzten Marktaktivitäten … Also umgekehrt … und beides funktioniert!
Was hast du daraus geschlossen?
Berufliche und private Erfahrungen im internationalen Kontext relativieren vieles, was wir in der Schweiz als grosses Problem sehen. Im Leben ist immer alles relativ. Etwas mehr Coolness, weniger Hysterie und mehr Fokus auf das Wesentliche würde vieles vereinfachen.
Nun bist du seit acht Jahren Eigentümer einer Kosmetikmarke made in Switzerland und megaerfolgreich in Hollywood – wie kam es dazu?
Nach zehn intensiven Jahren bei Colgate-Palmolive machte ich mich selbstständig und arbeitete zwei Jahre als Consultant im Bereich Internationalisierung und M&A für verschiedene asiatische Investoren. Während des „Target Search“ stiess ich auf die Schweizer Kosmetikfirma Gerda Spillmann, welche für die Investoren zu klein, für mich aber perfekt war: rine bekannte Schweizer Marke mit viel Potenzial, von Hollywood-Stars geliebt und 100 % Swiss made.
Ging von Anfang an alles glatt – oder hattest du auch chaotische Situationen zu meistern?
Die ersten drei Jahre waren selbst verschuldet chaotisch, da wir innerhalb kurzer Zeit radikal viele Dinge anpassen mussten. Die Veränderungen betrafen die Produktformulierungen, das Erscheinungsbild der Marke, die Verpackungen und das Vertriebskonzept. Normalerweise sollte man nicht zu rasch kritische Elemente der Strategie verändern, weil Veränderungen zu Unsicherheiten bei Konsumentinnen und Handel und somit zu Umsatzeinbussen führen. Diese Anpassungen waren jedoch notwendig, um das Unternehmen und die Marke wieder „State of the Art“ zu machen.
Mit welchen Herausforderungen hast du heute zu kämpfen?
Es ist die zunehmende Komplexität, der intensivere Wettbewerb und insbesondere die stark veränderte Consumer Journey durch die Digitalisierung. Die heutige Kosmetikkundin informiert sich primär digital, wird durch Social-Media- Plattformen wie Instagram stärker beeinflusst als am Verkaufspunkt und kauft immer mehr online ein. Es gibt neue Marken, welche digital gelauncht wurden und ausschliesslich online zu kaufen sind. Hier das richtige Businessmodell für heute und morgen zu finden steht bei uns im Vordergrund.
Was war das Chaotischste, das dir je passiert ist?
Als ich CEO für Novartis Consumer Health in Indonesien war, brach innerhalb weniger Wochen der Wert der lokalen Währung Rupiah um 60 % ein. Das löste auf allen Ebenen Chaos aus. Es begannen schwere soziale Unruhen mit Anarchie und Gewalt, das Militär übernahm das Zepter in Jakarta, meine Familie musste aufgrund der Gefahrenlage nach Singapur evakuiert werden. Mitarbeiter erschienen nicht mehr zur Arbeit, Produktelager wurden geplündert, normale Arbeitsprozesse waren nicht mehr möglich, es war wirklich extrem. Das Business brach über Nacht um über 70 % ein, und nichts war für viele Wochen kontrollierbar. Angst hat meinen Alltag damals bestimmt, privat wie geschäftlich. Ich benötigte einige Zeit, um die Bilder und Situationen verarbeiten zu können. Chaos bzw. die ständige Veränderung und Unordnung im klassischen Sinn macht vieles unvorhersehbar. Das erschwert es oftmals, die richtigen Entscheide zu finden, oder verzögert Entscheide aufgrund der vielen Variablen.
Gibt es auch etwas Positives am Chaos?
Im Chaos entstehen sehr viele neue Opportunitäten. Als Unternehmen muss man sehr flexibel sein und Marktchancen sofort erkennen und wahrnehmen. Im globalen Kosmetikmarkt war plötzlich „Wimpernwachstum“ ein Riesenthema. Wir als kleines, flexibles Unternehmen konnten dieses Segment mit einem neuen Produkt relativ schnell besetzen und sind damit in vielen Märkten sehr erfolgreich.
Hast du ein paar konkrete Tipps, wie sich das Chaos beherrschen oder lieben lässt?
Es ist essenziell, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Welches sind die wichtigsten Elemente, welche meine Marke am Markt einzigartig machen? Diese Elemente müssen mit Vollgas bearbeitet werden. Standardisierbare Aufgaben und Prozesse, welche nichts mit den Kernprozessen zu tun haben, muss man an spezialisierte Partner auslagern. Weiter ist es wichtig, viele Dinge möglichst leidenschaftslos einzuordnen und News so weit wie möglich zu ignorieren, ansonsten wird man von strategisch Unwichtigem „aufgefressen“. Als Unternehmer muss man seinem Gefühl vertrauen und darf sich nicht von Experten blenden lassen.
Weiterführende Informationen:
www.gerdaspillmann.ch
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