Wenn Aussergewöhnlich Zum Usp Wird

Text: Sandra-Stella Triebl
Mitarbeit: Linda Roniger, Isabel Steinhoff
Fotos:
Foto Cynthia Wolfensberger:  Copyright: Dominique Meienberg
Foto Meta Hiltebrand Copyright: Tobias Stahel
Foto Landmann Copyright: Rike Scanning

Sie passen in keine Schublade – jeder HR-Verantwortliche schüttelt beim Lesen ihres CVs den Kopf und jeder Headhunter blickt verschämt zur Seite, wenn ihre Namen fallen. Doch sie haben Karriere gemacht. Und genau das ist ihr USP – dass sie anders sind. Ungewöhnlich. Unangepasst. Schräg. Doch damit eckt man auch an, schwingt man eben aus der grauen „me-too-Suppe“ oben aus und wird dadurch unweigerlich sichtbar, angreifbar.

Wir fragten Menschen, die durch ihr Anderssein erfolgreich wurden, und wir überlegen: Ist das ein Erfolgsrezept für andere, um aus dem Schatten der Masse treten zu können? Oder muss man ein wenig „schräg“ geboren sein? Nach unseren drei Interviews mit Hells Angel- und Prostituiertenanwalt Landmann, der Schönheitschirurgin Cynthia Wolfensberger und der schrill-lauten Köchin und Unternehmerin Meta Hiltebrand müssen wir indes resümieren: Aussergewöhnlichkeit ist nicht lernbar. Sie ist Ausdruck des eigenen Selbst. Alle drei ecken seit ihrer Kindheit an. Und alle drei sind auffällig geerdet, äusserst direkt, wirken taff, sind aber im Kern emphatisch und höchst sensibel, vielseitig talentiert und voller sympathischer Authentizität. Man muss sie mögen, denn es sind echte Typen, die den Mut haben, zu sich und zu ihren Idealen und Träumen zu stehen. Und von denen würden wir uns noch eine Menge mehr wünschen. Abgesehen davon haben wir selten in Interviews so viel gelacht. Lesen Sie selbst …

Wenn wir Ihnen das Bild einer Köchin mit orangerotem, strubbelkurzem Haar und einer fliederfarbenen Kochbluse zeichnen, wissen Sie vermutlich auch ohne, dass wir den Namen nennen, von wem wir sprechen. Meta Hiltebrand. Das Enfant Terrible der Schweizer Kochgilde – und eine starke Marke für sich. Die 31-jährige Unternehmerin ist seit ihrem 23. Lebensjahr selbstständig und verdankt ihre Traumkarriere vor allem einer Person: ihrer älteren Schwester, selbst Unternehmerin und Inhaberin einer Werbeanstalt. Meta überrascht auch im persönlichen Gespräch durch ihre erfrischende Unangepasstheit. Sie spricht „Tacheles“, wie man so schön sagt – formuliert nichts blumig oder nett oder irgendwie verklausuliert, sondern kommt gerne auf den Punkt, spricht Dinge aus, die sich andere vermutlich nur denken, und beantwortet Fragen, die man ihr gar nicht gestellt hat. Das ist wahrlich aussergewöhnlich, finden wir.

 


„DIE ORANGEN HAARE WAREN DER SCHOCK MEINES LEBENS.“
Meta Hiltebrand machte sich mit 23 Jahren als Köchin selbstständig.

Ladies Drive: Wer ist Meta Hiltebrand eigentlich?
Meta Hiltebrand: Ich bin 31 Jahre alt. Bin in Bülach geboren. Habe meine Lehre gemacht. Habe sehr gut abgeschlossen. Habe aber sonst keine Weiterbildungen gemacht. Ich nenne mich heute Gastronomin, Buchautorin, Koch.

Du gingst früh in die Selbstständigkeit. Wie alt warst du da?
Sehr früh. Ich war 23. Zu dieser Zeit hatte ich die Kochsendung und war als Störkoch unterwegs (Meta kocht für Sie zu Hause – Anmerkung der Redaktion). Und dann habe ich die Kutscherhalle in Zürich aufgemacht. Irgendwie merke ich auch nicht, dass ich schon 31 bin. Das ist ein bisschen ein doofes Problem.

Wieso?
Weil einem bewusst wird, dass du acht Jahre lang nichts anderes getan hast als gearbeitet.

So geht es mir auch …
Als ich dreissig wurde, hatte ich echt eine Krise.

Eine Krise …?
Weil ich eigentlich vor dreissig noch so vieles machen wollte, was ich nicht getan habe!

Zum Beispiel?
Das waren eher so Kleinkramsachen. Nach Thailand gehen. Ein Krokodil live sehen, schlachten, essen. Oder Skorpione essen … das war auch auf der Liste. Einen Louboutin-Schuh kaufen … alles emotionale Dinge für mich, die ich erreichen wollte – nicht erleben. Ein Louboutin ist Erreichen! Das ist „fucking a lot of money“ für Schuhe, die du eigentlich nicht brauchst (lacht). Das war bei meiner ersten Louis Vuitton-Tasche auch so. Für die ging ich extra zwei Tage lang arbeiten. Das war mein Highlight.

Und wie viele sind es mittlerweile?
Drei (lacht). Es war so, du hast eine und dann, auf den nächsten Job hast du eigentlich keine Lust, aber du hast dann die Handtasche gesehen und das motiviert dich, den Job zu machen.

Bist du gierig nach Statussymbolen, die Geld verkörpern?
Nein, überhaupt nicht. Ich mache so viele gratis Jobs und so viele karitative Geschichten – ich kann nämlich schlecht nein sagen. Ich arbeite ohnehin von 30 Tagen im Monat 25. Und wenn ich dann noch einen Job on top dazu mache, muss ich mir auch selbst wieder eine Freude bereiten.

Du bist also ein Workaholic … brauchst du die Dynamik des Gastrobetriebes?
Ich lebe für die Gastronomie. Ich besitze eigentlich nichts mehr anderes. Das ist so! Ich finde, entweder machst du was mit 1‘000 Prozent und voller Überzeugung, mit dem ganzen Scheiss, der noch hintendran kommt, und dem ganzen Verzicht, der dazugehört – oder du lässt es bleiben. Aber der Gewinn, den du erreichst – nicht in Form von Geld, sondern emotional als Bestätigung und Dank dafür – ist so enorm, dass der Verzicht vergleichsweise klein erscheint.

Weisst du noch, was dein erstes Gericht war, das du gekocht hast und wie alt du warst?
Ich glaube, das war so mit 14. Ich hatte langsam geschnallt, dass ich Koch werden möchte, und hab damals für ein paar wildfremde Leute aus dem Jugendzentrum gekocht. Und eben dieses Gericht weiss ich noch. Das ist für mich legendär. Das ist so eine Spezialität aus meiner Jugendzeit: gefüllte Peperoni mit Hackfleisch auf Tomatensauce.

Du hast eine Schwester und einen Bruder, soweit ich weiss … aber zur Schwester hast du eine besonders enge Beziehung?
Zwischen meiner Schwester und mir sind acht Jahre Altersunterschied. Sie war ja eigentlich schon erwachsen, als ich zehn war. Sie hat die Kunstgewerbeschule gemacht, hatte früh zu fotografieren begonnen und mich natürlich immer als Modell vor die Kamera gestellt. Sie war es auch, die mich dann bei der Miss Teenie Wahl angemeldet hat, an „Faces of Switzerland“ und so weiter. So schön war ich gar nicht (lacht)! Und ja, wir haben eine sehr enge Beziehung. Sie ist auch schuld an meiner Haarfarbe.

Welche Haarfarbe hattest du denn ursprünglich?
Schweizerblond … also irgendwie langweilig. Aber ich hab meine Haare früher immer wasserstoffblond gefärbt, hatte langes, wallendes, blondes Haar. Ich war ein totales „chick“ – blonde Haare und in den Klamotten meiner älteren Schwester …

Und so orange sind sie seit deiner Selbstständigkeit?
Ja, ein Monat nach der Fernsehsendung bei Tele Zürich wurden sie orange. Das Leben war als Blondine wirklich einfacher als mit orangen Haaren. Das wurde mir schnell bewusst …

Aber die Idee zu orangen Haaren kam von deiner Schwester?
Ja. Es war so, dass die Fernsehsendung ausgestrahlt wurde – die hab ich übrigens auch dank meiner Schwester und ihrem Freund und Geschäftspartner gekriegt. Und im Normalfall, wenn eine neue Sendung ausgestrahlt wird, wird die Presse hellhörig. Aber die Presse hat sich einen Scheiss für mich interessiert. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Job mehr und mit der Fernsehsendung konnte ich gerade mal die Krankenkasse zahlen. Also haben wir überlegt, dass man werbetechnisch gesehen eine Marke aus mir machen muss. So haben wir erst mal einen Designer engagiert, der für mich eine Kochbluse kreierte. Der hat als Farbe Flieder gewählt – so hatten wir die Kochbluse, fanden aber, es fehlt noch immer was. Dann hat mich meine Schwester, wie man es aus dem Cinderella-Film kennt, zum Coiffeur gezerrt, den Spiegel abgedeckt, zack, Spiegel aufgedeckt – und ich weinte. Ich hatte ja so eine Krise! Es war der Skandal meines Lebens. Ein Alptraum. Die Haare waren kupferfarben! Männer drehten sich nicht mehr um auf der Strasse. In einem Einkaufszentrum hält dir niemand mehr die Tür auf. Auf dem Zebrastreifen kannst du nicht mehr einfach los laufen. Das Leben wurde mit orangen Haaren massiv schwerer (lacht). Ich musste mich viel mehr beweisen. Nach zwei Wochen mit orangen, kurzen Haaren kam ich mit Hut ins Fernsehstudio rein und dachte: ui, wenn die das sehen, schicken die mich wieder weg. Ich lief also ins Studio rein und habe in der Maske den Hut abgenommen. Und die Visagistin schrie: „wow, geil!“ Wir haben an diesem Tag vier Sendungen aufgenommen – und es war krass, von einem zum anderen Tag stand die Presse da. Violette Kochbluse, orange Haare und 20 Minuten machte plötzlich Interviews mit mir. Von diesem Tag an fing eigentlich alles an.

Ja, passt doch gut zu dir, diese Marke …
Ich finde nicht, dass man aus allem eine Marke machen muss – ein Andreas Caminada braucht keine andere Haarfarbe. Er hat als USP seine Gault Millau Punkte und Michelin Sterne. Ich bin kein Pünktlijäger. Mich interessiert das überhaupt nicht. Ich will mit diesen Leuten, den Punkteverteilern, eigentlich auch nichts zu tun haben. Mich interessiert nie die Meinung von einem alleine. Das würde mich fertig machen. Ich wäre nicht so weit gekommen, wenn ich immer nur auf eine Meinung gesetzt hätte. Aber ja klar: In meinem Fall war es das Beste, was meine Schwester machen konnte. Es hätte auch ein Tattoo im Gesicht sein können. Oder ein Dialekt oder ein Sprachfehler.

Du hättest auch lispeln können?
Ja, das hätte auch zu einem Markenzeichen werden können. Aber da ich natürlich eine Schwester mit einer Werbeagentur im Rücken habe, hatte ich mehr Glück als andere.

Wie bist du zu den Mitteln für deine Selbstständigkeit gekommen?
Auch das war zur Hauptsache meine Schwester. Die Fernsehsendung damals, mit der alles begann, hätte ja eigentlich abgesetzt werden sollen, weil die mit dem alten Koch nicht mehr happy waren. Ich war also zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Dann hat es angefangen mit der Suche nach einem Manager, weil die ersten Anfragen kamen, ich wurde auf Messen gebucht, man wird professioneller, wird auf Veranstaltungen eingeladen und kann dadurch sein Netzwerk erweitern. Irgendwann beginnt man, die Fäden selbst zu ziehen. Also eigentlich habe ich kein Geld. Aber ein erfülltes Leben, im Vergleich zu anderen. Viele haben Kohle, aber sind total unzufrieden mit ihrem Leben. Und ich arbeite halt 14 Stunden pro Tag, habe nicht so viel Kohle, aber bin total erfüllt, wenn ich nach Hause gehe. Bin happy. Es ist ein Abenteuer, und jeder Tag eine Bühne.

Und man darf viel lernen dabei …
oh ja … ich finde sowieso, jeder hat andere Talente. Bei meinen Angestellten würde ich beispielsweise nie sechsmal den gleich guten Koch anstellen. Sonst hätte ich sechs Divas, die gegeneinander anrennen und sich den Kopf einschlagen. Wenn ich aber einen nehme, der gut im Führen, einen anderen nehme, der gut im Schnibbeln von Gemüse ist, der nächste ist super kreativ – dann kriege ich ein Team von Kompetenzen zusammen. Und dann hast du Erfolg. Und du darfst nie ableiten von dir auf andere. Ich habe früher immer erwartet, dass die anderen Leute immer so fleissig sind wie ich. Und erwartet, dass die Leute gleich viel wie ich opfern für den Erfolg. Das ist recht blauäugig. Wenn ich jetzt meine Schwester wegdenke auf dem ganzen Karriereweg, würde ich meinen, dass ich heute einfach Küchenchefin in einem grossen Betrieb wäre, vermutlich ebenfalls mega glücklich. Aber den Bekanntheitsgrad hätte ich wohl nicht bekommen. Denn dazu brauchst du die richtigen Leute und ein Netzwerk.

Was meinst du, wenn ich sage, du bist schräg, laut oder aussergewöhnlich? Oder bist du das?
Das ist eine gute Frage … die hat bislang noch niemand gestellt. Ich war recht lange eine „normale“ Persönlichkeit, bis zu dem Tag, als ich die Fernsehsendung bekam. Man hat mir plötzlich einen Rahmen geschaffen, der mir das Recht gab, so zu sein, wie ich bin. Und wer hat das schon? Ja, ich war immer ein lauter Mensch. Ich habe immer ein Argument und einen Schlusssatz parat. Ich habe auch ein ewiges Mitteilungsbedürfnis. Und ich rede auch sehr gerne über Sachen, von denen ich keine Ahnung habe (lacht). Das bin ich. Mich stört das überhaupt nicht, wenn jemand sagt, ich sei laut. Irgendwann merkt man, dass man sich selbst gefallen muss – und wenn man quasi schon in der Öffentlichkeit die Fresse poliert kriegt, dann bitte so, wie ich das gerne hätte.

Wie meinst du das?
Über negative Presseartikel, über gemeine Facebook-Beiträge. „Das Gackerhuhn aus dem Fernseher.“ „Sprachfehler ohne Ende, fehlender Wortschatz.“ Ich meine, ich war super jung, als ich zum Fernsehen kam – ich war nervös. Aber man hat irgendwann begonnen, mich wegen meiner Klamotten zu kritisieren. Aber ich sagte mir rasch: Who cares? Denn ich suche meine Klamotten am Morgen selbst raus, es ist nicht mehr meine Mutter. Und ich habe auch nicht mehr die schönen engen Jeans mit dem schwarzen Oberteil angezogen, mit den blonden langen Haaren, und abends beim Ausgehen die Haare nicht mehr nach hinten geworfen, um gratis in den Club zu kommen. Ich musste plötzlich gerade stehen für mich. Also befand ich für mich, dass ich fortan mache, was ich will. Stört dich das, wenn ich sage, du bist eine schräge Person? Ich finde, schräg ist ein Kompliment.

Hast du das Gefühl, du bist manchen Leuten zu selbstbewusst?
Ja. Ich denke, es geht vor allem jenen Leuten auf den Keks, die es selbst nicht sind. Wenn du jeden Tag an der Front stehst, jeden Tag den Kopf hinhältst, für jeden kleinen Fehler, die Probleme, die ich jeden Tag zu bewältigen habe, wie Kündigung oder Nichterscheinen von Angestellten, Gäste, die dir Wüstes sagen, Journalisten, die etwas Gemeines über dich schreiben, öffentliche Angriffe, wenn du auf der Strasse läufst und einer sagt: „Du bist doch die Fotze vom Fernsehen“… dann musst du dir ja eine Schutzwand aufbauen, sonst macht dich das fertig. Und dann stehst du irgendwann nicht mehr auf. Und nicht mehr aufzustehen gehört nicht zu meinem Charakter. Vermutlich kann man sagen, ich habe mir ein Schutzschild aufgebaut. Das wirkt dann vielleicht etwas überzogen und arrogant, selbstsicher. Aber irgendwie kann ich das auch nicht anders. Mir geht Kritik immer noch sehr nahe. Früher konnte ich vor dem Gast weinen, weil er mich so verletzt hat. Ich musste mit den Jahren lernen: Man kann es nicht allen recht machen. Es ist sogar cool, es nicht allen recht machen zu müssen. Wenn ich es allen recht machen würde, dann wäre ich Migros und Coop. Jeder Depp kommt zu mir. Wenn du essen gehst, hast du die gleiche Wahl. Willst du etwas Spezielles, dann gehst du zu Meta.

Du bist eine aussergewöhnliche Person, und man sagt ja, man bekommt die Mitarbeiter und Gäste, die man verdient.
Ja, das ist schon so.

Was bekommst du für Mitarbeiter und Gäste, wenn du so bist wie du bist?
Das sind super Fragen, grosses Kompliment (lacht). Ich gebe ganz ehrlich zu, im ersten Restaurant, welches ich aufgemacht habe, war ich kein geborener Chef, was das anbelangt. Ich bin auch heute noch kein typischer Chef, aber ich werde es immer mehr, ich wachse in die Rolle rein. Aber ich bin eigentlich viel zu harmoniebedürftig. Und sehr perfektionistisch. Diese beiden Sachen passen nicht zusammen. Sprich, du kannst es nicht mit allen gut haben und gleichzeitig den ganzen Tag wegen Kleinigkeiten rumnörgeln. Das passt nicht. Die Leute hassen dich zwangshalber. Ich musste auch in dieser Zeit lernen, dass, egal wie nett du bist als Vorgesetzte, du bist und bleibst der Chef. Und es gibt Tage, an denen dich deine Mitarbeiter unheimlich hassen. Irgendwo muss ihr Groll doch hin. Ich hasse manchmal die ganze Welt, denn ich habe ja kein Chef mehr, den ich hassen könnte. Ich muss zugeben, im ersten Jahr der Kutscherhalle hatte ich einen regen Mitarbeiterwechsel. Ich hatte auch keine Ahnung von Führung. Ich habe meinen Führungsstil entsprechend massiv verändert, und mich emotional distanziert. Und ich weiss mittlerweile, mit welchem meiner 13 Mitarbeiter ich auch abends mal ausgehen kann und mit wem nicht.

Was passiert mit Meta in den nächsten Jahren? Noch mehr Restaurants, ein Kind?
Für ein neues Restaurant fragst du mich zu früh. Das „Le Chef“ haben wir erst letzten November eröffnet. Was ich dir sagen kann, ist, dass die Kutscherhalle ein neues Konzept bekommt. Du bist die erste von den Medien, die das erfährt. Das wird im Detail diesen Sommer verraten. Und ich hätte gerne noch einmal eine Fernseh-Koch-Show. Ich bin z. B. vorgeschlagen, in Las Vegas für den Tourismusverein zu kochen, mit einem TV-Sender verhandle ich noch. Aber auch das ist nicht spruchreif. Etwas, was spruchreif ist: Ich werde Jury- Mitglied bei Kitchen Queen in Deutschland, ansonsten bin ich noch Brauerei Vorstandsmitglied, auch dort wartet sehr viel Arbeit auf mich. Dann vielleicht mit einem Geschäftspartner zusammen etwas machen … vielleicht gibt es irgendwann mal noch eine Bar oder einen Club dazu. Oder ganz bodenständig gesehen: Ja, ich will irgendwann Kinder. Aber Kind und Job müssen eben kombinierbar sein. Weil das hier (blickt sich im Restaurant um) lasse ich nicht fallen. Obwohl, das ist schon ein Krampf jeden Tag. Aber nicht falsch verstehen … es ist unheimlich schön und macht viel Spass. Alle haben das Gefühl, ich verdiene mir eine goldene Nase. Aber für das, was ich leiste, Ende Monat 6‘000 Franken Lohn nach Hause zu nehmen, ist vergleichsweise wenig. Aber wie gesagt: Bis Ende September hab ich mal gut zu tun – dann wird es mir vermutlich schon wieder langweilig (lacht).

 

Weiterführende Informationen:
www.restaurant-lechef.ch,
www.metas-kutscherhalle.ch

 


 

Valentin LandmannWENN DU LANGE GENUG IN EINEN ABGRUND SCHAUST, SCHAUT DER ABGRUND AUCH DICH AN
Valentin Landmanns faszination für totenköpfe, die Hells Angels und authentische menschen.

Landmanns Anwaltskanzlei liegt in einem schmucken Quartier in Zürich. Als ich mich dem Eingang nähere, überlege ich, ob das wohl nun schlecht ist für mein Image und ob man mich für eine Schwerverbrecherin oder Prostituierte halten könnte, wenn ich durch diese Tür gehe. Ich muss über mich selbst schmunzeln und trete neugierig ein. Gleich neben der Eingangstür wartet ein junger Mann in dunkler, einfacher Kleidung. Die beiden Frauen am Empfang mustern mich ebenso stirnrunzelnd wie ich sie. Auf der Theke thront eine eiserne Justitia und in der Ecke rattert ein überdimensionaler Kopierapparat vor sich hin. An den Wänden Kunstdrucke mit Landschaftsbildern. Landmann holt mich ab und führt mich in sein Büro. Seine Vorliebe für Totenköpfe ist überall sichtbar. Sie sind in mannigfaltigen Variationen zu entdecken. Landmann rührt in seinem Kaffee und fixiert mich mit seinen stahlblauen Augen. Sein distanzierter, direkter Blick hält dem meinen stand ohne mit der Wimper zu zucken, auffordernd, aber nicht unfreundlich. In sich ruhend wie ein Fels wirkt er, auch wenn er mir von einer bevorstehenden Operation berichtet. „Verschleisserscheinungen“ kommentiert er mit fester Miene.

 

Ladies Drive: Bei meiner Recherche über aussergewöhnliche Menschen kam ich relativ schnell auf Sie. Sie haben eine Nische entdeckt und in dieser funktioniert Ihr Geschäft. Hat die Nische Sie gefunden oder Sie die Nische?
Valentin Landmann: Das ist jetzt genau die Frage, die ich stellen wollte. Das ist nicht so klar. Es ist nicht so, dass ich mir überlegt habe, wo gibt es eine Nische, was mache ich, wo pflanze ich mich ein. Sondern so etwas entsteht. Genauso wie Auftritte oder Auftrittscharakter entstehen. Was ich von Anfang an hatte, seit ich selbstständig bin, ist das Interesse an den Personen, die von den Fällen betroffen sind. Dazu kam parallel die Freundschaft mit den Hells Angels, bei denen ich den Eindruck hatte, dass das Leute sind, die ihre Freiheit nutzen, die kantig, die nicht immer die einfachsten sind, aber die man auf keinen Fall kriminalisieren darf. Ich habe mich in meinem Staatsverständnis dafür eingesetzt, dass man das auf keinen Fall tun sollte. Und ich habe das öffentlich gemacht. Dazu stehe ich, wie zu allem, was ich tue. Im Laufe der Zeit haben sich sicher auch ein paar Erkennungsmerkmale eingestellt. Das sind Sachen, die typisch für mich sind oder die ich gerne mag. Das wurde dann irgendwie zu meinem Markenzeichen, aber nicht von mir bewusst als solches aufgebaut.

Wie viel ist PR daran?
Gar nichts. Meine Glatze ist einfach meine Glatze. Die habe ich seit 30 Jahren. Und die wird auch immer bleiben. Das ist ein Erkennungszeichen. Und ich habe einen guten Freund, René Beyer, der mir vor vielen Jahren einmal eine Uhrenkrawatte geschenkt hat. Und ich fand das so stimmig – sie symbolisiert Zeit und somit Lebenszeit, um die wir für Klienten kämpfen. Deshalb habe ich angefangen, die bei Gericht immer zu tragen. Desgleichen der silberne Totenschädel, den ich am Gürtel habe. Das ist so eine Lebenszeitsymbolik. Ich habe ihn zusammen mit meinen Hells Angels Freunden in Hamburg ausgesucht. Er bedeutet für mich etwas. Darum trage ich ihn immer. Ich verstecke ihn auch nicht, wenn ich ein Interview gebe.

Haben Sie eine morbide Seite?
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Es geht ja darum, die Lebenszeit als etwas Greifbares und Wertvolles darzustellen. Es geht nicht um Todessehnsucht oder Morbidität. Einiges wurde mir von Klienten geschenkt – und den Journalisten und Fotografen hat das natürlich immer gefallen … ausserdem sagt man mir nach, ich sei stets sehr ruhig in Diskussionen, fast schon pastoral. Ich bin eben der Meinung, dass man zwar hart diskutieren kann in der Sache, aber anderen stets mit Respekt begegnen soll.

Sie haben zahlreiche Bücher verfasst – arbeiten Sie derzeit wieder an etwas Neuem?
Ja, in der Tat. Nachdem ich zweimal über Wirtschaftskriminalität geschrieben habe, möchte ich wieder einmal über das Rotlichtmilieu schreiben. Geplant sind die Memoiren eines interessanten Mannes. Eines der grössten Sexclub-Betreiber der Schweiz – übrigens ein ehemaliger Jurist, der in einer wirklich genialen Art diese Clubs sehr korrekt führt. Seine über 30-jährige Geschichte ist gleichzeitig eine Geschichte über die Prostitution in der Schweiz. Und das versuche ich jetzt nachzuzeichnen. Ob das etwas Gescheites wird, wird sich dann zeigen …

Darf ich noch etwas zurückblättern in Ihrem Leben? Ihre Mutter war Schriftstellerin, der Vater Philosophieprofessor. Wie hat Sie Ihr Elternhaus beeinflusst?
Man hat damit einen Bildungsbackground. Es gab auch eine Unmenge Begegnungen mit Literaten in meinem Elternhaus, mit Leuten aus dem Bereich der Philosophie. Leute, die interessant sind. Aber zum Teil auch etwas belastend, weil sie oft ein Kriegsschicksal hatten, von dem sie auch erzählt haben. Das habe ich als Kind immer alles mitbekommen. Mein erster Berufswunsch war daher Anwalt.

Sie wurden dann tatsächlich Anwalt – haben in der Schweiz studiert und Ihr Studium sowie das Doktorat mit summa cum laude abgeschlossen. Waren Sie früher so etwas wie ein „Nerd“?
Ich habe glücklicherweise eine schnelle Auffassung. Eine Eigenschaft, die half, aber nicht mein Verdienst war – ich muss aber auch sagen, dass mich alles einfach brennend interessiert hat. Das heisst, ich konnte ein Sachbuch innerhalb eines Wochenendes verschlingen, weil ich es spannend fand.

Hat man Sie als sehr kritischen, wachen Geist erzogen?
Ich war als junger Mensch nicht so kritisch, sondern eher staatsgläubig. Meine Mutter war sicher sehr kritisch, auch als Schriftstellerin. Ich war, wie gesagt, eher staatsgläubig. Ich dachte: Es kann ja gar nichts falsch sein bei uns. Fehlurteile kann es doch gar nicht geben. Indes ist es vielmehr so: Ein Fehlurteil ist auch von der Strafprozessordnung her als Selbstverständlichkeit eingebaut. Denn wieso bräuchte es sonst eine weitere Instanz? Das ist völlig alltäglich, dass eine Instanz anders entscheidet als eine untere. Eine hat also falsch entschieden. So kann auch ein Endurteil falsch sein.

Wie fehlerhaft ist denn die Menschheit an und für sich?
Glücklicherweise ist sie nicht perfekt. Aber es gibt manchmal auch Schlimmes, das ist klar. Was mich interessiert, ist das „Warum“. Wieso passiert etwas? Wie entsteht ein Wirtschaftskriminalfall? Aber auch, wie gerät jemand überhaupt in das rein? Das „Warum“ interessiert mich immer sehr. Das erleichtert mir natürlich die Arbeit, denn ich empfinde mein täglich Brot als äusserst interessant. Auf meinem Tisch liegen jetzt gerade wieder einige neue Krimis. Das Schlimme ist nur, dass diese Krimis nicht Fiktion sind, sondern dass sie im Leben spielen. Dass es Opfer gibt, dass es Täter gibt. Das ist nicht immer schön. Aber es ist ein schönes Erlebnis, wenn man ein Urteil hinkriegt, das man als sachgerecht empfindet.

Wie ist der Kontakt zu den Hells Angels zustandegekommen?
Der besteht mittlerweile schon weit über 30 Jahre. Das hat in Hamburg aufgrund eines Missverständnisses angefangen. Ich habe damals etwas darüber schreiben wollen, und zwar über das Thema, wie organisierte Gruppierungen ihre Normen ausserhalb des Rechts durchsetzen. Damit meinte ich vor allem die Unterwelt. Ich habe dann erst später, nach der Kontaktaufnahme, gemerkt, dass die Hells Angels nicht Teil der Unterwelt sind. Sie sind Querköpfe, freiheitsliebend, aber keine kriminelle Organisation.

Das heisst, Sie haben die Hells Angels direkt und persönlich kontaktiert?
Ich habe die in Hamburg direkt aufgesucht. Und seltsamerweise ist es auch zu den Kontakten gekommen. Es hätte auch sein können, dass sie sagen, mit diesem „Dubbel“ reden wir nicht. Die Verbindung wurde dann enger, es entstanden Freundschaften. Das ist seit über 30 Jahren so.

Hätten Sie gedacht, dass daraus Freundschaften entstehen? Oder waren das Faszination, Respekt, was Sie so neugierig machte?
Beides. Selbstverständlich hatte ich damals vor 30 Jahren Vorurteile. Als ich das erste Mal zu einer grossen Hells Angels Party eingeladen wurde, irgendwo auf dem Lande draussen, da habe ich mich innerlich auf eine grosse Orgie vorbereitet. Dann kam ich dorthin und sah, dass ein paar Familien Würstchen brieten, ein paar hörten Musik, ein paar kamen mit dem Motorrad. Es gibt nichts Harmloseres als eine Angels Party. Wenn man eine 14 Jahre alte Tochter hat, dann kann man sie vielleicht nicht auf ein Dorffest schicken, aber zu einer Angels Party. Weil dort nichts passieren wird.

Wie gross ist die Faszination für die Szene der Hells Angels noch?
Die ist ungebrochen. Ich finde es wichtig, dass es diese Gruppen gibt. Wenn man die Freiheit in den Kleiderschrank hängt und nicht mehr benutzt, dann kann man sie irgendwann nur noch mit Mottenlöchern herausholen. Das hat mir einmal ein älterer Angel kurz vor seinem Tod gesagt: Der Tod ist etwas Normales, den muss man nicht fürchten. Fürchten muss man, vor dem Tode nicht gelebt zu haben. Das sagt eigentlich die Biker-Philosophie aus.

Wie frei sind Sie?
Es gibt natürlich Rahmenbedingungen. Ich muss mich genauso an das Gesetz halten wie andere. Aber ich habe auch nicht das Bedürfnis, diese Gesetzesordnung zu überschreiten. Ich bin nicht einmal ein Cannabis-Konsument. Aber die Rahmenbedingungen in unserem Leben, in unserer zivilisierten Umgebung, die sind relativ eng. Der Freiraum ist nicht riesig. Mein Freiraum ist mehr ein innerer. Es gab Philosophen, die haben nie die Stadt verlassen, z. B. Kant, der ging fast nie aus seinem Zimmer. Das ist nicht mein Vorbild. Ich reise nicht viel, ich lese viel, ich schaue ab und zu auch gerne einen Krimi im Fernsehen. Aber ich lese vor allem viel. Ich gehe gerne mit Freunden gut essen. Und schwimme jeden Tag eine Stunde. Wo auch immer ich bin. Diese Stunde ist für mich meditativ, ich kann mich bewegen, über Sachen nachdenken, es ordnet sich vieles. Und das ist meine innere Freiheit, die ich so finde. Wenn man mir das wegnimmt, dann nimmt man mir viel weg. Wenn man mir das Praktizieren wegnimmt, würde man mir sehr viel wegnehmen. Ich bin kein sehr familiärer Mensch. Ich wohne praktisch nicht. Ich arbeite tagsüber. Ich gehe nach Hause, um zu schlafen.

Wie reagieren eigentlich die Leute auf der Strasse auf Sie?
Ich habe durchaus Freude, wenn mich jemand auf der Strasse anspricht und sagt, er mag, was ich gesagt habe. Ich habe auch Kritik gern. Das ist etwas Interessantes. Diskussionen sind auch interessant. Scheue ich auch nicht. Das belebt doch.

Wenn man aussergewöhnlich ist, muss man dann auch einehärtere Schale haben, was Kritik anbelangt?
Ich weiss nicht, ob ich aussergewöhnlich bin, ich gehe einfach meinen Weg. Kritik kann natürlich kommen, Misstrauen ebenso. Ich sage immer, was ich denke und mache genau das, was mir passt. Ich trete auch auf, wie es mir passt. Nichts davon ist inszeniert.

Ist es Ihnen also wichtig, sich ausdrücken zu können?
Ja, das ist etwas vom Zentralsten. Die Sprache ist ein Instrument. Ein ganz wesentliches Instrument. Und sie ist mein Instrument in meinem Beruf. Ich bin nicht der, der durch hundertseitige Eingaben brilliert. Ich bin auch nicht der, der tage- und wochenlang nur im Büro sitzt und irgendwelche Sachen ausarbeitet. Am liebsten gehe ich vor Gericht. Dort ist das Leben.

Haben sich noch nie Marketingstrategen oder Werbeleute bei Ihnen gemeldet und gesagt, wir machen Ihren Auftritt noch perfekter und toller?
Doch, habe ich alles in den Papierkorb geworfen. Das interessiert mich gar nicht. Wenn jemand sagt, du hättest viel mehr Zuspruch, wenn du eine Hornbrille tragen würdest … ich denke nicht dran. Ich richte mich auch nicht nach der Mode. Seit sehr langer Zeit trage ich eigentlich immer das Gleiche in Varianten.

Wäre es beleidigend, wenn ich Sie als eigenwillig beschreiben würde?
Nein, das wäre o.k. Das hoffe ich doch sogar. Wenn ich etwas mit meiner Sprache und meinen Formulierungen rüberbringen kann, das ich auch als richtig empfinde, dann ist das ein persönlicher Erfolg. In diesem Sinne bin ich auch leistungsorientiert in der Sprache. Ich will in Diskussionen erreichen, dass man mir folgen kann, dass man mich versteht. Es gibt keine komplizierten Sachverhalte, es gibt nur falsche Erklärungen. Das ist ein Credo von mir.

Sie haben in so viele menschliche Abgründe geschaut, gibt es noch irgend etwas, das Sie erschreckt?
Nietzsche sagte: „Wenn du lange genug in einen Abgrund schaust, schaut der Abgrund auch dich an.“ Abgründe haben etwas Anziehendes, Faszinierendes, Interessantes und Erschreckendes. Der Abgrund beginnt mit einem zu reden.

Der Abgrund bleibt also interessant für Sie?
Er bleibt. Da gibt es kein Burn-out, nur ein Burn-in.

 

Weiterführende Informationen:
www.landmann.ch

 


Cynthia Wolfensberger„SCHRÄG GEFÄLLT MIR!“
Mama Schwarz, Papa Weiss, von Chicago in die Schweiz, und auch sonst ist bei Cynthia Wolfensberger nichts normal.

Als dritte aussergewöhnliche Person im Bunde treffen wir die 54-jährige Schönheits- und Wiederherstellungschirurgin Cynthia Wolfensberger aus Zürich. Geboren in Chicago kam sie im Alter von einem Jahr mit ihrer Familie in die Schweiz. Die Tochter einer schwarzen Mama und eines weissen Papas sorgte früh für Aufsehen. „1961 gab es gefühlt drei Schwarze in der Schweiz. Entsprechend aussergewöhnlich war ich“, erzählt uns die passionierte Medizinerin. Wir treffen uns in ihrer Praxis. Und gleich als sie mich zum Gespräch mit in ihr Büro nimmt, wird mir wieder klar, weshalb ich sie um ein Interview für diese Reportage gebeten habe. „Jemand hat mir mal gesagt, ich sehe eher aus wie eine Gospelsängerin. Eine andere Patientin meinte, ich erinnere sie an Ruth Dreyfuss. Das fand ich irgendwie … tja …“, bricht sie in schallendes Gelächter aus. Cynthia Wolfensberger ist in der Tat auch in meinen Augen keine „typische“ plastische Chirurgin. Irgendwie erscheint sie mir dazu viel zu natürlich. Viel zu direkt. Und zu unbequem. „Vor drei Wochen war wieder so ein junges Mädchen bei mir, 13 Jahre alt, gemeinsam mit der Mutter, und wollte mit mir über eine Schamlippen-OP sprechen.“ Die renommierte Medizinerin schüttelt den Kopf. „Und, haben Sie sie wieder heimgeschickt?“, will ich wissen. „Ja, klar!“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen und blickt mich erstaunt an. Das macht Cynthia Wolfensberger ebenfalls aussergewöhnlich. Sie macht nicht alles, was möglich ist – und nicht alles, was Geld bringen würde.

 

Ladies Drive: Wäre es für Sie beleidigend, wenn ich sage, Ihre Aussergewöhnlichkeit ist Ihr USP?
Dr. Cynthia Wolfensberger: Nein, das ist es überhaupt nicht! Das ist genau das, was es ausmacht, dass ich genau die Kundinnen kriege, die ich auch will. Die brauchen nicht, dass ich ihnen sage, ich mache sie schön. Wenn sie mich sehen … nun vielleicht ist es genau der Grund, warum sie zu mir kommen, weil sie merken, dass ich mich nicht nur durch mein Äusseres definiere.

Ich möchte Ihnen überhaupt nicht zu nahe treten.
Nein, gar nicht. Es ist nicht so, dass ich mich, um mich abzugrenzen, anders geben würde oder extra nicht abnehme. Ich habe so viel mehr, was für mich wichtig ist. Ob ich jetzt Grösse 38 oder 44 trage … das spielt keine Rolle. Und das merken meine Patienten auch.

Ist es trotzdem nicht schräg, wenn man sagt, man definiere sich nicht über das Aussehen, arbeitet aber als Schönheitschirurgin?
Ich bin ja kein Model. Ich bin Handwerkerin. Ich definiere mich über meine Arbeit. Nicht darüber, wie ich mich selbst in dieser Welt darstelle.

Ist das nicht so in unserer Welt? Wir alle wollen etwas darstellen …
Ich überlege mir morgens schon, was ich anziehe. Aber ich muss dem Bild, das die Medien von plastischen Chirurgen zeichnen, nicht entsprechen. Ich werde nie in „Niptuck“ auftreten oder in „Extrem schön“. Blond werde ich auch nicht mehr.

Ich auch nicht.
(Lacht) Kurz bevor ich mich von meinem Mann getrennt habe, habe ich zuerst meine Haare abgeschnitten und dann blond gefärbt. Das hat vielleicht blöd ausgesehen! Aber das machen ja viele Frauen.

Fühlen Sie sich selbst aussergewöhnlich?
Aussergewöhnlich ist ein zu extremes Wort. Dr. Enrique Steiger ist aussergewöhnlich (bei Enrique Steiger hat Cynthia drei Jahre lang gearbeitet – er ist im Übrigen Gast bei unserem Bargespräch am 3.7. in Zürich – Anmerkung der Redaktion). Aber ich bin kein Durchschnitt, das ganz sicher. Meine Tochter fand kürzlich, ich sei etwas verrückt. Wir hatten an Ostern eine alte Tradition aufleben lassen. Eine Freundin von mir und ich haben früher jeweils 200 Eier gefärbt, sind dann an die Bahnhofsstrasse und ins Niederdorf und haben diese Eier verschenkt. Das habe ich meiner Tochter erzählt und sie sagte sogleich nein, das stimme nicht. Dann sagte ich: „Doch, doch, das stimmt.” Ich rief also meine Freundin an. Und wir haben am Karfreitag bei mir zu Hause mit den Kindern Eier gefärbt.

Wie kam es zu dieser Tradition?
Wir hatten irgendwann mal so viele Eier gekauft und nicht gewusst, was damit anzufangen war – also dachten wir, wir könnten die Eier auch einfach verschenken. Das ist übrigens total lustig, wie die Leute reagieren. Frauen schielen häufig zuerst zum Mann, und wenn er nickt, dann nehmen sie das geschenkte Ei an – und der Mann bedankt sich dafür. Häufig wird auch gefragt: Von wem ist denn das Ei? „Ja, von mir!”, sage ich dann immer. Das fanden wir beim ersten Mal so lustig, dass wir das gemacht haben, bis unsere Kinder auf der Welt waren.

Ihr habt das jahrelang gemacht?
Ja. Immer wieder. Man muss sich schon etwas überwinden. Aber es ist so was von amüsant. Aber um noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen: Aussergewöhnlich fühle ich mich nicht.

Schräg?
Ja, schräg finde ich gut! Das eher. Ich bin einfach immer ich.

Aber es ist aussergewöhnlich, dass Sie in dieser „Branche“ so natürlich geblieben sind.
Nun, ich spritze mir auch Hyaluronsäure.

Dass Sie so natürlich sind, finde ich wirklich sehr erfrischend an Ihnen, Sie sind geerdet, Sie sehen Ihren Beruf als Handwerk …
Wir sind keine Künstler. Kunsthandwerker, maximal.

Haben Sie sich bewusst entschieden, die Haare nicht zu färben?
Ich habe sie mal gefärbt, aber dann muss man es eben wiederkehrend und regelmässig machen. Ich schminke mich auch nur, wenn ich auf einem Podium sitze oder für Fotos. Ich habe mit dem Haarefärben angefangen, weil meine Tochter sagte: Schwarz-weiss passt nur für Zebras. Aber irgendwann war mir das zu blöd. Aber wenn wir schon beim Thema sind: Botox ist wie Haare färben. Ein Entscheid, den man auch wieder zurücknehmen kann. Eine Operation ist indes etwas ganz anderes.

Sie haben vorher gesagt, Sie bekommen die Kunden, die Sie sich wünschen. Was für Kunden haben Sie?
Ich habe vor allem differenzierte, überlegte Patientinnen. Sie wollen sich nicht überreden lassen. Das Schöne in meinem Beruf ist ja, dass ich viele Geschichten aus dem Leben hören darf. Und ich treffe dabei Menschen, die mit mir einen Schritt machen wollen, um etwas hinter sich zu lassen, weil sie finden, es passt nicht mehr in ihr Leben. Das ist unglaublich spannend. Ich finde es auch gut, wenn sie sich schlussendlich entscheiden, nichts zu machen!

Wenn Sie sagen, Sie führen kein Verkaufsgespräch mit den Leuten, machen denn das andere Chirurgen?
Es gibt vor allem solche, die sich als Schönheitschirurgen betiteln, aber keine plastische chirurgische Weiterbildung gemacht haben. Solche, die Gratisberatungen anbieten … ach – there is no free lunch! Wenn es gratis ist, dann ist es ein Verkaufsgespräch. Bei mir kostet auch das Erstgespräch. Ich weiss von Patienten, dass sie bei einem Kollegen waren wegen hängender Augenlider und nach einer Stunde mit einem Kostenvoranschlag über 60’000 Franken für Korrekturen vom Kopf bis zum Po und einem OP – Termin rausgegangen sind. Das gibt es. Es ist furchtbar, wenn man versucht, als Arzt Menschen über den Tisch zu ziehen.

Sie haben eigentlich überhaupt keinen Hang dazu, sich selbst darzustellen?
Doch, logisch. Ich trage am Wochenende sehr häufig die Zürcher Stadttracht. Die ich mir übrigens selber genäht habe und die extrem bequem ist. Ich halte auch gerne Vorträge. Oder wenn die Medien über mich berichten, das finde ich auch gut. Da habe ich keine Mühe. Ich stelle mich schon dar, das gefällt mir.

Wenn Sie an Ihre Kindheit und Jugend zurückdenken, hatten Sie damals schon das Gefühl, schräg zu sein?
Als Kind stand ich immer im Fokus.

Weswegen?
Meine Mutter ist schwarz. Als sie in die Schweiz kam, gab es gefühlt drei Schwarze, die in der Schweiz wohnten. Egal wo ich hinkam, die Leute wussten, wer ich bin. Und die Leute sagten: „Oh, ein Negerli!“ Irgendjemand hat mich auch in den Haaren gekrault. Ich habe es gehasst! Als ich in die Pubertät kam, Mitte der 1970er-Jahre, waren viele schwarze Frauen als Sexworker in die Schweiz gekommen. Wenn ich durch das Niederdorf gelaufen bin, fragte mich so mancher: „Was kostet das?“

Wie war das für Sie?
Das war nicht einfach. Aber es war, wie es war. Darum tanze ich auch nicht. Weil alle fanden: „Ah, als Neger kannst du sicher tanzen und singen und bist gut im Bett.“

Haben Sie sich ein Schutzschild geschaffen?
Ja, irgendwie wohl schon. Ich hatte mir antrainiert, einen Punkt in 50 Metern Distanz zu fokussieren, wenn ich durchs Dorf laufe. Damit ich die Leute, an denen ich vorbeigehe, nicht mehr anschauen muss. Ich möchte aber auch betonen, dass ich das nie wirklich als rassistisch empfand. Allerdings war ich immer der Meinung, man müsse doch exotisch von erotisch unterscheiden können.

Und wie war das während Ihres Studiums hier in der Schweiz?
Ich bin sehr jung Oberärztin geworden – und das in einem Spital in Obwalden. Eine Zeit lang musste ich meine Assistenten vorab zu den Patienten schicken und sagen lassen: „Jetzt kommt dann meine Oberärztin“ (lacht). Aber ich muss auch sagen: Wenn man auffällt, muss man mit Reaktionen rechnen. Ich konnte mich ja ohnehin nicht verstecken, auch wenn es Situationen gab, wo ich das gern getan hätte. Also hab ich mich irgendwann entschieden: Wenn ich ohnehin auffalle, dann wenigstens so, wie und wo ich es will.

Was würden Sie an sich selbst nie machen lassen?
Ich glaube, Genitaloperationen, das würde ich nicht machen. Mein Genitale und meine Sexualität sind privat, persönlich und einzigartig. Dies möchte ich nicht an eine „Norm” angeglichen haben. Fettabsaugen würde ich auch nicht machen. Entweder ist es mir so wichtig, dann nehme ich ab, oder ich lasse es.

Wie schafft man es, dass einem die Hülle vor allem im Alter nicht zur Last wird?
Es gibt so viele Sachen, wo ich finde: Die mache ich wirklich gut. Das macht mich aus. Vielleicht kam meine Haltung auch dadurch zustande, dass mein Äußeres als Kind immer so wichtig war für andere, obwohl ich immer dachte: Die sehen mich ja gar nicht. Die sehen nur, was sie sehen wollen. Vermutlich ist mir deshalb mein Aussehen unwichtig. Ich fühle mich im Leben angekommen. Und ich hab alles, was ich gern hätte – deshalb bin ich sehr dankbar und fühle mich gesegnet, auch wenn ich nicht weiss, von wem. Und extrem privilegiert.

Braucht es manchmal Mut, sich selbst zu sein?
Ja. Manchmal, gerade wenn Leute an einem herummäkeln, das braucht manchmal Mut. Vielleicht braucht es auch nur Sturheit (lacht).

 

Weiterführende Informationen: www.doctorcynthia.ch

 

 

Veröffentlicht am Mai 16, 2015

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