Sie erhielt aufgrund ihrer Hautfarbe Morddrohungen, wurde mit einer Waffe bedroht, gewürgt, getreten, beschimpft. Ihre Antwort lautet weder Wut noch Hass. Mo Asumang nutzt ein viel effektiveres Mittel: Sie hört zu. Und sie stellt Fragen. Und zwar jenen, die sie am liebsten aus der Gesellschaft verbannen würde: Neonazis, Ku-Klux-Klan-Mitglieder, Rassisten. Die Filmemacherin, Autorin, Aktivistin und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Mo Asumang über die Macht des Zuhörens, inneres Tai-Chi, das Ausbrechen aus der Wut- und Hassspirale und entwaffnende Neugier.

Ladies Drive: Mo, du wirkst auf mich wie Mutter Teresa und Gandhi in einer Person: so friedlich, liebevoll, ruhig. Woher kommt deine innere Ruhe?
Mo Asumang: (lacht) Das ist viel zu nett von dir – aber danke. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich durch tiefe Täler gegangen bin. Ich komme aus der Unsicherheit. Wo ich jetzt bin, das habe ich mir hart erarbeitet.
Welche waren diese tiefen Täler?
Ich wurde mit fünf Wochen ins Heim gesteckt und kam später zu Pflegeeltern. Im ersten Lebensjahr war ich dort wohl ständig krank. Deshalb gaben sie mich ab und brachten mich zu anderen Pflegeeltern. Mit fünf kam ich zu meiner Oma. Es war ein heilloses Chaos. Und dann folgten die Nazis, die mir mit einer öffentlichen Morddrohung noch einmal den Boden unter den Füssen wegzogen: „Die Kugel ist für dich, Mo Asumang.“ All das hat dazu geführt, dass ich mich intensiv mit mir auseinandersetzen musste.
Andere Menschen werden zynisch, aggressiv oder wütend. Du bist das Gegenteil: friedlich, ruhig, liebend. Wie gelingt dir das nach allem, was du erlebt hast?
Ich erwarte nicht mehr von der Aussenwelt, dass sie mich heilt. Ich versuche, Dinge in mir selbst zu verändern. Wenn ich darauf warte, dass von aussen etwas kommt, bin ich wieder in der Unsicherheit. Meine Stärke kann nur von innen kommen – auf mich kann ich mich verlassen.
Wie bist du da hingekommen?
Als die Morddrohung kam, befand ich mich gerade auf dem Höhepunkt meiner Moderationstätigkeit bei ProSieben und dem RBB. Ich moderierte „Classic Clips“ und „Liebe Sünde“, ein Experiment zur Auseinandersetzung mit Sexualität. Jede Woche schalteten zwei bis drei Millionen Menschen ein. Dann kam aus dem Nichts die Drohung. Ich bekam Panik, traute mich nicht mehr ans Fenster – aus Angst, man könnte auf mich schiessen. Alltagsrassismus kannte ich, aber die Morddrohung war die Obergrenze dessen, was ich ertragen konnte. Ich zog mich zurück, bis ich merkte: Das bin nicht mehr ich. Also ging ich nach vorne und überlegte, mit wem ich sprechen könnte, um den Hass zu verstehen. Mein erstes Treffen fand mit einem Neonazi in der JVA Wriezen statt.
Wie spricht man mit jemandem, der einen umbringen will?
Die Haltung war jahrzehntelang: Mit Nazis redet man nicht. Also habe ich für mich einen Weg ertastet.
Wie war diese erste Begegnung?
Er konnte mir nicht in die Augen sehen. Ich entsprach nicht seinem Bild eines Rassisten mit dunkler Hautfarbe. Ich stand offen vor ihm, strahlend und lächelnd. Ich wollte ihn kennenlernen – das war völlig aus der Balance.
Es klingt, als hättest du die Oberhand gehabt. Wie hast du das geschafft?
Das beginnt mit der eigenen Held:innen-Reise. Meine startete an einer Neonazi-Demo am Alexanderplatz. Ich ging unvoreingenommen hin – und mir wurde übel. 3.000 Nazis, Megafone, Parolen wie „Ausländer raus!“. Ich fürchtete, eine Flasche könnte mich töten. Ich musste mich meinen Ängsten stellen, bevor ich überhaupt mit jemandem sprechen konnte.
Wie hast du sie überwunden?
Ich begann, mit mir selbst zu reden und mir einzureden: Ich bin eine Dampfwalze. Nichts kann mich stoppen. So wandelte sich meine Haltung – heute nenne ich das eine bewusste Entscheidung.
Und die nächste Hürde?
Triggerpunkte wie frauenfeindliche oder antisemitische Parolen. Mein Trick: Ich schaue zu, ohne zu bewerten. Dann sehe ich, wie verängstigt und verwirrt sie sind. Aus diesem Beobachten erwächst Empathie – und daraus die Fähigkeit, Fragen zu stellen.
Wie hältst du die Antworten aus?
Am Anfang war es schmerzhaft. Jetzt suche ich das Gespräch: ehrliche Neugier statt moralischer Überlegenheit. Wer steht da vor mir? Woher kommt der Hass? Einfach zuhören, ohne Fakten zu brauchen.
Hast du ein Beispiel?
Ein Rassist behauptete, ich sei aus „Genentführung“ entstanden. Ich fragte: „Wer war der Entführer – Mutter oder Vater?“ Ein anderer sagte das N-Wort. Ich wollte wissen: „Wann hast du es zum ersten Mal gehört? Wie reagierten die Menschen darauf?“ So zwinge ich sie, ihre Floskel zu Ende zu denken – und sie scheitern meist schnell.
Konntest du Muster erkennen?
Ja, sie denken ideologisch, betrachten Menschen nicht als Menschen. Aber durch Dialog habe ich gelernt: Reden ist das A und O – für sie und für mich.
Was unterscheidet dich von anderen Aktivist:innen?
Sie setzen auf Lärm und Konfrontation. Ich auf Ruhe, Frieden und leise Stärke – das durchbricht die Wut- und Hassspirale.
Wie zurück in den Dialog, nach all dem Gegeneinander?
In meinem Mo:Lab bilde ich Dialogbotschafter:innen aus: innere Haltung, Neugier, Fragen stellen, Körperarbeit. Das macht richtig Spass – und stärkt Führungskompetenz.
Wie können wir im Alltag Mo-like handeln?
Menschen wollen gesehen werden – auch jene, die diskriminieren. Wer ehrlich zuhört, löst ihre Abwehr und öffnet sie für Veränderung. Kein Moralisieren, sondern echtes Interesse: „Hey, wie geht es dir?“ Das ist der Anfang.
Hat Dir das Interview gefallen? Mo Asumang ist unser Gast am Bargespräch in Zürich vom 18.9.25.

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