Die bekannte Ärztin und Gender-Medizinerin Dr.med. Tanja Volm aus unserem Netzwerk hat mich auf eine aussergewöhnlich gute Maturaarbeit einer jungen Frau aufmerksam gemacht, die sie Korrektur gelesen hatte. Und auch ich bin der Meinung: der Text dieser jungen Frau ist so wertvoll, dass wir uns entschieden haben, ihn hier zu veröffentlichen.
Sandra-Stella Triebl, Chefredakteurin von Ladies Drive Magazin.
Ungefähr jede zehnte Frau ist von Endometriose betroffen und trotzdem ist diese Krankheit in unserer Gesellschaft für viele immer noch weitgehend unbekannt. Zudem gilt in der heutigen Medizin der Mann immer noch als Standard und Frauen werden dementsprechend stark benachteiligt. Anhand meiner Maturaarbeit zum Thema «Endometriose im Zusammenhang mit der Benachteiligung der Frau in der Medizin» habe ich diese zwei Aspekte untersucht und miteinander verglichen.
Meine Arbeit
Wie sieht das Leben der Betroffenen von Endometriose aus verschiedenen Perspektiven aus und welche unterschiedlichen Erfahrungen bestehen? Was sagt der aktuelle Umgang mit der Krankheit Endometriose über die Medizin und die Benachteiligung der Frau in jener aus? Diese beiden Fragen bildeten die Basis für die Untersuchung. Jene klärt über das Leben und die Erfahrungen der Endometriose-Betroffenen, die medizinische Sicht auf die Krankheit und genauso über die Verbindung zur Rolle der Frau in der Medizin auf. Die Informationen sind anhand von qualitativen Interviews mit fünf Betroffenen sowie auch zwei Expertinnen gesammelt und anschliessend in einem Untersuchungsbericht verarbeitet worden.
Endometriose – komplex und individuell
Endometriose stellt eine reine Frauenkrankheit dar und gehört zur Gruppe der gutartigen und chronischen Unterleibserkrankungen. Die Erkrankung definiert sich durch gebärmutterähnliches Gewebe, welches sich ausserhalb der Gebärmutter ansiedelt und dabei stetig wächst. Dieses Gewebe besteht aus Endometriose-Herden. Diese Herde können fast im ganzen Körper lokalisiert sein, befinden sich aber häufig im Bauch- und Beckenraum, an den Eierstöcken oder den Eileitern, in tiefen Wandschichten der Gebärmutter sowie auch im Darm. Die Schmerzen werden verursacht, indem die Herde wie auch die Gebärmutterschleimhaut während des Monatszyklus einer Frau wachsen und während der Menstruation mitbluten. Durch die Blutungen werden Entzündungen und Reizungen der Nerven hervorgerufen und das Blut kann nicht abfliessen. Die Symptome von Endometriose sind sehr unspezifisch und können bei jeder Frau anders auftreten. Dennoch gehören starke Blutungen, allgemeine Schmerzen und Unfruchtbarkeit zu den meistaufgeführten Beschwerden. Viele betroffene Frauen leiden auch an einem Endo Belly. Dabei sind die starken und schmerzhaften Blähungen am Bauch gemeint, die durch die Krankheit entstehen können und oft in der zweiten Zyklushälfte auftreten. Die Liste der Symptome ist aber schier endlos lang und jede Endometriose individuell. Diagnostiziert wird die Krankheit anhand einer Laparoskopie. Das ist eine Operation unter Vollnarkose, wobei die Bauchdecke mit Kohlendioxid angehoben wird und unterschiedliche Geräte eingeführt werden, um den Bauchraum zu untersuchen und auch Gewebe zu entfernen.
Gendermedizin und die Benachteiligung der Frau
Gendermedizin bedeutet, dass der Einfluss des Geschlechts auf Gesundheit und Krankheit beachtet wird. Das ist wichtig, da sich Krankheiten bei Frauen und Männern ganz unterschiedlich äussern, vor allem, weil sie unterschiedliche Gene (X- und Y-Chromosomen) haben. Heute besteht aber immer noch das Problem, dass Frauen oft als kleine Männer angesehen und auf die gleiche Art diagnostiziert und behandelt werden, weil der Mann in der Medizin nach wie vor als Standard gilt. Genauso existiert in der Medizin ein Gender-Data-Gap. Das bedeutet die unzureichende Datenerhebung bezogen auf das biologische Geschlecht. In der Medizin werden vor allem in Bezug auf die Frauen zu wenig Daten erhoben und es besteht eine riesige Datenlücke zu dem Thema, wie sich Krankheiten bei Frauen äussern. Das Ganze kann dazu führen, dass Krankheiten bei Frauen falsch diagnostiziert oder gar nicht erkannt werden. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig. Beispielsweise, dass Forschungen heute noch mit überwiegend männlichen Probanden durchgeführt werden. Das hat zur Folge, dass Medikamente auf den Durchschnittsmann angepasst sind und nur das männliche Krankheitsbild bekannt ist, während das weibliche unbekannt bleibt.
«Und dann wurde ich von Arzt zu Arzt geschickt»
Durchschnittlich dauert die Diagnosefindung bei Endometriose rund zehn Jahre und die betroffenen Frauen wissen daher lange nicht, wodurch ihre Schmerzen verursacht werden. Die Gründe für die lange Diagnosefindung sind die hohe Komplexität der Krankheit, welche die Diagnose grundsätzlich schwierig macht, das fehlende Wissen durch den Gender-Data-Gap, dass es kaum Forschung im Bereich Endometriose gibt und genauso, dass Ärzte und Ärztinnen teilweise ungenügend über Endometriose informiert sind. Das Hauptproblem liegt aber darin, dass viele Frauen von Fachpersonen generell nicht ernstgenommen und ihre Symptome psychologisiert oder als Einbildung abgetan werden. Von dieser Thematik haben die interviewten Betroffenen mitunter am häufigsten berichtet.
Unwissende Gesellschaft
Alle Befragten geben an, dass sie immer wieder erleben, dass die meisten Leute keine Ahnung haben, was Endometriose ist und noch nie von der Existenz dieser Krankheit gehört haben. Wenn sie also von ihrer Erkrankung erzählen, kommt als Gegenreaktion oft die Frage: «Endo-was? Was soll das denn sein?». Sie müssen sich also immer wieder für ihre Schmerzen rechtfertigen und klarstellen, dass sie nicht einfach an normalen Menstruationsschmerzen leiden. Genauso stellen Menstruation und damit verbundene Beschwerden allgemein ein Tabuthema in der Gesellschaft dar und auch das kann ein Grund dafür sein, dass Endometriose noch immer weitestgehend unbekannt ist.
Endometriose und die Benachteiligung der Frau in der Medizin
Diese Untersuchung zeigt deutlich auf, dass Frauen in der Medizin bis heute stark benachteiligt werden. Eines der grössten Probleme findet sich hierbei beim Herunterspielen und Psychologisieren von Schmerzen. Diese Problematik entsteht vor allem, weil Frauen und Männer ihre Schmerzen ganz unterschiedlich äussern, da der Schmerzreiz im Gehirn anders verschaltet wird. Dadurch drücken Frauen ihre Schmerzen emotional aus und Männer tendieren eher dazu die Empfindungen zu analysieren und sich sachlich zu äussern. Ärzte und Ärztinnen kommen bei weiblichen Patientinnen dann oft zum Schluss: «Die weint, die sagt, sie hält es nicht mehr aus, die hat ja ein psychisches Problem.» (Frau Dr. med. Tanja Volm). Die emotionale Äusserung der Schmerzen wird dementsprechend als schlecht gewertet und die kognitive als gut. Das führt dazu, dass Frauen immer wieder Fehldiagnosen erhalten und ihre körperlichen Symptome zu Unrecht psychisch begründet werden. Gleichermassen erschreckend ist, dass Frauen prinzipiell schlechter medizinisch versorgt sowie behandelt werden als Männer und Frauenkrankheiten schlechter erforscht sind. Das erklärt auch, warum gegenwärtig immer noch so viel über Endometriose unbekannt und unerforscht ist. Es wird also deutlich, dass Endometriose ein unglaublich gutes Beispiel dafür darstellt, was in unserer Medizin in Bezug auf Frauen falsch läuft. Die Krankheit ist vom Gender-Data-Gap betroffen, es besteht das Problem der nicht ernstgenommenen Schmerzen und sie betrifft nur Frauen und spielt somit für die Forschung und die Medizin keine bedeutende Rolle.
Vergleich zwischen Fachpersonen und Betroffenen
Grundsätzlich decken sich die Erfahrungen, welche die Endometriose-Betroffenen gemacht haben, mit den Fakten, von welchen die Expertinnen berichtet haben. Die Meinungen und Begründungen driften jedoch etwas auseinander, wenn es darum geht, warum es die lange Diagnosefindungszeit gibt und inwiefern die Ärzte und Ärztinnen dazu beitragen. Die Betroffenen haben viele Erfahrungen mit unwissenden Gynäkologen und Gynäkologinnen sowie auch weiteren Ärzten und Ärztinnen gemacht und sehen hierbei eines der Hauptprobleme der verzögerten Diagnosestellung. Eine Erkrankte erzählt sogar davon, dass Kolleginnen, welche auch von der Krankheit betroffen sind, zu ihrer Frauenärztin gewechselt haben, da deren Frauenärzte Endometriose nicht kannten. Die Expertinnen begründen hierbei eher mit dem Zeitproblem der Ärzte und Ärztinnen, welches dazu führe, dass diese oftmals nicht richtig zuhörten, unsauber arbeiteten und ihnen für schwierige Erkrankungen schlichtweg die Zeit fehle. Bezüglich des Wissenstands der Gynäkologen und Gynäkologinnen sind sich die Expertinnen uneinig. Den Betroffenen ist es vor allem ein Anliegen, dass sie ernstgenommen werden und so die Diagnosefindung beschleunigt werden kann, was die Expertinnen mit der Schulung von Medizinern und Medizinerinnen erreichen möchten.
Es braucht eine Veränderung
Die Benachteiligung der Frau in der Medizin kann sich nur ändern, wenn sich auch die Gesellschaft und die Rolle der Frau in jener wandelt. Es braucht also die universelle Gleichberechtigung der Frau. Ebenfalls muss die Medizin moderner werden, sodass alle Menschen einen Platz darin finden und genauso essenziell ist, dass akzeptiert wird, dass sich Krankheit nicht für jeden Menschen gleich anfühlt und sich unterschiedlich äussert. Im Bereich der Endometriose könnte sich in Zukunft die Diagnosefindung vereinfachen, da momentan ein Speicheltest in der Entwicklung ist. Gleichermassen tut sich auch in der Forschung langsam etwas, auch wenn das im kleinen Rahmen stattfindet. In der Schweiz wird in kleinen Arbeitsgruppen an Endometriosezellen im Reagenzglas geforscht und die Wirkung von unterschiedlichsten Medikamenten darauf getestet. Ebenso positiv erscheint, dass Gendermedizin ein immer wichtigeres Thema wird, was auch dringend passieren muss, damit mehr über die Krankheitserscheinungen bei Frauen herausgefunden wird. Den Mann als Standard haben die Medizin sowie auch die Gesellschaft also noch nicht überwunden, aber ein Wandel in der Medizin lässt sich durchaus schon feststellen und lässt hoffen, für alle Endometriose-Patientinnen, für alle Frauen.
Milena Frei

Ich heisse Milena Frei und besuche das Gymnasium und werde diesen Sommer meine Matura absolvieren. Der Grund für diesen Artikel stellt meine Maturaarbeit zum Thema «Endometriose im Zusammenhang mit der Benachteiligung der Frau in der Medizin» dar, welche ich im Herbst 2024 abgegeben habe und dank dieser ich mich ein Jahr mit dem spannenden Thema beschäftigen konnte. Einige meiner wichtigsten Ergebnisse sowie Erkenntnisse teile ich in diesem Artikel und möchte hiermit bei der Aufklärungsarbeit rund um die Krankheit Endometriose mithelfen. In meiner Freizeit musiziere und backe ich sehr gerne. Ich spiele schon seit vielen Jahren Blockflöte und Klavier. Daher bin ich regelmässig in der Musikschule oder an Konzerten anzutreffen.