Männer an der Macht

Text: Sandra-Stella Triebl

Was Männer über Macht, Motivation und Machtmissbrauch denken

Die Macht, sei sie politisch oder wirtschaftlich, liegt weltweit unbestritten in den Händen von Männern. Frauen bilden eher die Ausnahme, wenn es um Macht im grossen Stile geht. Indira Gandhi, Margaret Thatcher, Angela Merkel, Melinda Gates, Indra Nooyi, Irene Rosenfeld. Es gibt sie, die Frauen an der Macht. Doch, so zeigt auch ein Bericht von Sita Mazumder und Gabrielle Wanzenried zu Handen des Seco 2010 (Massnahmen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen): Selbst im als fortschrittlich geltenden angelsächsischen Raum liegt der Frauenanteil in Verwaltungsräten bei 20 %, im oberen Kader bei 24 % – in der Schweiz bei 12 % (VR von SMI-Firmen).

Gleichzeitig erleben wir derzeit, wie sich weltweit Unmut gegen die Machtstrukturen regt. Man protestiert gegen die Regierung, gegen Wallstreet – und damit auch gegen die Männer an der Macht. Ungehorsam regt sich, wohin man blickt, Strukturen drohen aufgebrochen zu werden, Dinge, die jahrzehntelang als sicher galten, drohen zu Fall gebracht zu werden. Wir befragten drei Männer, die unbestritten mächtige Positionen inne haben.

Wir wollten wissen: Welches Verhältnis zur Macht haben sie selbst? Und die mächtigen Männer erzählten in unseren Interviews bereitwillig von ihren Niederlagen und schweren Stunden. Aber auch davon, wie sie Macht für sich selbst begreifen und ausüben.

Ein faszinierender Einblick in die Welt der Mächtigen.

 

 

DANIEL KÜNG (59) CEO von Osec, dem Schweizerischen Ausenwirtschafts – förderer , und ehemaliger Unternehmer.

Ladies Drive: Männer an der Macht. Was assoziieren Sie damit? Daniel Küng: (nach einigem Zögern) Dass es eine Tatsache ist. Dass die Ausübung der Macht so unterschiedlich ist wie die Männer, die die Macht besitzen. Und dass man jegliche Art der Ausprägung wiederfindet. Heute ist die Ausprägung von Macht etwas unterschwelliger geworden – das Machtvolumen hat sich jedoch kaum verändert, auch wenn es öffentlich nicht mehr so sichtbar ist.

Sie haben als CEO selbst eine gewisse Macht und haben in Ihrer Funktion wiederum mit Menschen zu tun, die mehr Macht haben. Welchen Ausprägungen von Macht begegnen Sie dabei? Ich begegne Macht im Sinne von Führung. Denn Führung ist ein Element, welches in jedem Prozess notwendig ist, damit er zielgerichtet abläuft. Führung kann nun heissen, dass ich meine Leute hinter einem gemeinsamen Ziel versammle, ich motiviere sie, in eine gewisse Richtung zu gehen – oder ich führe über Befehlsausgaben und Kontrolle. Ich muss sagen: Ich erlebe alles! Die ersten beiden Kategorien von Führung sind meines Erachtens jedoch die effizienteren und effektiveren.

Wie führen Sie? Ich delegiere! Das kann ich ausgesprochen gut (lacht). Meine direkten Mitarbeitenden beurteilen regelmässig auch mich und meine Arbeit. Dabei tritt immer wieder als positives Feedback zu Tage, dass ich ihnen sehr viel Freiraum lasse. Der Aufbau meiner Machtstruktur geht also vor allem über die richtige Auswahl meiner Mitarbeitenden; dann kann ich ihnen nämlich auch grosse Freiheiten und viele Freiräume bei der Ausübung geben.

Kommt auch mal negatives Feedback von den Mitarbeitenden? Ja, das kommt vor … dann muss man erst mal abschätzen, ob es eine individuelle Ausprägung ist oder ob ich etwas mehrmals höre. Wenn ich also ein Feedback mehrmals höre, hat es offenbar mit mir zu tun. Wenn es singuläre Dinge sind, muss ich die Beziehung zum Mitarbeitenden überdenken.

Negatives Feedback ist das eine – Niederlagen das andere. Welche Niederlagen in Ihrer Karriere haben Sie durchlebt? Auf der persönlichen Ebene waren dies Beziehungen, die gescheitert sind. Das waren für mich die schwierigsten Niederlagen. Auch beruflich gab es einige. Ich habe aber auch gelernt, dass sich die Zeiten immer wieder zum Guten ändern. Das sage ich wohlgemerkt heute. Vor 20 Jahren hätte ich die Lebenserfahrung dazu noch nicht gehabt. Insofern nehme ich Niederlagen heute gelassener als früher. Niederlagen bedeuten ja nicht das Ende der Welt. Zudem haben sie meist einen sachlichen Charakter, keinen persönlichen Hintergrund. Wenn ich also heute eine Niederlage erfahre, beispielsweise in einer Verhandlung, hat das wohl damit zu tun, dass entweder meine Positionen nicht die richtigen waren, ich sie nicht so vertreten habe, dass sie angenommen wurden oder mein Gegenüber schlicht die besseren Argumente hatte. Aber es wird weniger damit zu tun haben, dass ich als Person dafür verantwortlich bin.

Dazu braucht es ein gesundes Selbstbewusstsein … Ja. Ich bin ja bald 60 – ich habe genug Erfolge verbuchen können. Wenn also eine Niederlage eintritt, na dann sei es eben so. Bis jetzt hatten die Erfolge überhand.

Sie haben ja auch auf der ganzen Welt, unter anderem in Brasilien, Spanien und Portugal selbst Firmen aufgebaut als Unternehmer. Gab es da auch Niederlagen? Ja, es gab eine grosse in den 1990er Jahren. In Portugal hatte ich entschieden, mit meiner Firma einen grösseren Strategiewechsel durchzuführen. Ich habe mir deshalb Partner dazugeholt, welchen ich in der Folge – wie ich vorher erläutert habe – viele Freiräume gelassen habe. So haben diese Partner allmählich das Ruder übernommen – eigentlich wie von mir gewünscht. Aber dies machte mich selbst zur obsoleten Person. Es lief einfach alles ohne mich. Meine Partner führten alle Verhandlungen mit den Kunden selbst und ich erhielt höchstens noch Einladungen zu Geburtstagen. Das war eine sehr schwierige Situation für mich. Ich war erst 45. Ich kann und will arbeiten, bin ein „Powerhouse“. Aber plötzlich hatte ich keine Ideen mehr, ich ging zwei Stunden zum Joggen pro Tag – aber ich war irgendwie leer. Das war eine grosse Niederlage und ich fand nur schwer einen Ausweg.

Welchen Ausweg haben Sie für sich dabei gefunden? Ich habe mich beruflich neu orientiert – nach Spanien. Es war praktisch eine One-Man-Show, wo man bei allen Dingen wieder selbst mit anpacken muss. Und die Ideen kamen wieder. Aber ich möchte schon betonen, dass sich solche Niederlagen nie auf meine Partner abgefärbt haben. Vielmehr habe ich gespürt, welche Fehler ich im Aufbau der Strukturen und in der Führung gemacht habe und dass es mir nicht mehr gelang, diese Prozesse umzudrehen. Das hatte grosses Lernpotential für mich. Mir war bewusst, dass ich zwar delegieren kann, gewisse Kernbereiche jedoch in meinem Zuständigkeitsbereich belassen muss.

Ist es eine wichtige Eigenschaft, Persönliches von der Sache trennen zu können, wenn man an der Spitze eines Unternehmens steht? Meiner Ansicht nach schon. Wenn ich im Spiegel oder anderswo lese, dass zum Beispiel Helmut Kohl bei jeder Gelegenheit die Karriere von Heiner Geissler blockierte, weil sich dieser mal in einem Machtkampf gegen ihn gestellt hatte, finde ich das höchst seltsam, dass Männer ihre Macht derart ausspielen. Ich muss gestehen – ich habe solche Konfrontationen spätestens nach einem Jahr vergessen. Ich frage mich manchmal, wie andere sich an alles erinnern können, damit sie noch wissen, auf wen sie nun sauer sein wollen, wem sie nun etwas Böses wollen. Das ist verschwendete Energie für mich!

Sie waren früher Unternehmer, sind nun CEO. Haben Sie in dieser Position zunehmend politisch agiert im Sinne von: vertraute Gesichter an wichtige Positionen zu befördern, um die Macht ein Stück weit auch abzusichern? Nein, überhaupt nicht. Ich will immer und überall die besten Leute. Bei der Führung geht es, wenn wir den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, um People-Management. Es geht darum, die richtigen Leute einzustellen und gemäss ihren Fähigkeiten – und nicht gemäss Organigramm – einzusetzen.

Sie lassen also auch Menschen in Ihren Unternehmen wachsen. Hatten Sie dabei noch nie die Angst, dass jemand besser werden könnte als Sie? Ich sehe in meiner Organisation viele Menschen, die in Teilbereichen deutlich qualifizierter sind als ich. Aber um an der Spitze zu sein, braucht es eben ein bisschen von allem – mehr in die Breite, etwas weniger in die Tiefe – und das ist dann eben meine Stärke. Deshalb hatte ich auch noch nie Angst vor Machtverlust. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine Situation, wo ich eine der Schlüsselpositionen in der Osec neu besetzt habe und meine Wahl auf eine Person fiel, vor der mich der Headhunter mit den Worten warnte: „Sind Sie sich bewusst, dass Sie sich hier eine starke Leaderperson ins Team holen?“ – Und ich antwortete: „Genau deshalb will ich diese Person.“ Es brauchte viel Energie, diese starken Typen in die richtige Richtung zu bringen – aber die Organisation, das Unternehmen entwickelt sich positiver, wenn ich starke Menschen ins Boot hole. Ich will ja auch selbst wachsen können. Wenn ich mich mit niemandem reiben kann, bleibe ich stehen. Damit auch mein Unternehmen.

Ist die Macht für Sie in Ihrer jetzigen Position als CEO anders als früher, wo Sie selbst Unternehmer waren und die Firma Ihnen gehörte? Nicht unbedingt. Mich haben viele gefragt, weshalb ich mich nach 27 Jahren Selbstständigkeit in ein Anstellungsverhältnis bewege. Und ich antwortete immer: Ich spüre keinen Unterschied! Ich bin nun einem Verwaltungsrat zur Rechenschaft verpflichtet. Aber dieser lässt mir auch viel Freiraum. Er gibt mir die strategischen Leitlinien vor. In der Selbstständigkeit gibt mir der Markt die Leitlinien vor. Die Tätigkeit selbst, die Verantwortung, die Befriedigung, die ich durch den Job erfahre, ist dieselbe.

Können Sie mir verraten, weshalb die Menschen derzeit gegen die bestehenden Machtverhältnisse protestieren? Weil tatsächlich etwas falsch läuft! Einige wenige Sektoren halten derzeit ganze Völker in Geiselhaft. Und wir müssen zwingend handeln.

Ist dies eine Form von Machtmissbrauch? Ja. Aber auch eine Form von Nichtausübung der Macht bei den regulatorischen Behörden. Das heisst, wir haben die Chance verpasst, die Macht rechtzeitig zu kontrollieren.

Wird man jetzt handeln? Ich glaube schon. Es ist ja einschneidend, was derzeit geschieht. Macht ist gut und schön. Macht muss aber kontrolliert werden. Sei es in einem Land, in einer Firma. Es braucht Checks&Balances, Good-Governance-Systeme. Macht, die nicht kontrolliert wird, ist enorm gefährlich! Sobald jemand spürt, dass er keine Kontrollen erfährt, wird diese Macht auch missbraucht.

War Macht, Leadership ein Motivator für Sie und Ihre Karriere? Nein. Etwas zu gestalten hingegen schon. Macht ist aber durchaus spannend: Sie gibt einem einen grösseren Gestaltungsraum für sein eigenes Handeln. Man kann sich besser verwirklichen.

Wie erden Sie sich? Primär über zwei Dinge: Sport und meine Beziehung. Meine Partnerin hilft mir, Probleme aus einer anderen Dimension zu betrachten. Ich spiele Squash, um die Energie loszuwerden, meine Gedanken zu befreien – und jogge, um zu meditieren. Diese Dinge sind für mich enorm wichtig und werden entsprechend in meine Agenda eingetragen. Die ganze Firma kann hier Einblick nehmen. Das ist kein Geheimnis.

Ist es wichtig, sich auch abzugrenzen? Absolut. Gedanklich muss man sich abgrenzen, auch wenn man sich mit dem Unternehmen identifiziert. Auch die Familie war und ist stets enorm wichtig. Es geht hier um die Priorisierung der Gedanken, respektive um die Fokussierung. Man muss stets mit dem Herzen und den Gedanken anwesend sein. Man kann auch sagen: Ich bin stets bei der Sache. Nicht gedanklich schon woanders oder bei jemand anderem.

Hätten Sie Mühe, Ihre Macht mit einer Frau zu teilen? Nein. Ich habe wohl mehr Erfahrung im Umgang mit Männern an der Macht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich die Machtteilung mit einer Frau anders anfühlt. Es ist natürlich klar, dass Frauen inhaltlich andere Inputs bringen. Aber im Umgang, im Wohlfühlen gibt es für mich keinen Unterschied.

Sind Frauen an der Macht anders als Männer? (zögernd) … ist eine Frau allein an der Macht, wird sie wohl ähnlich agieren wie ein alleine regierender Mann. Im Team sieht es anders aus: reine Männerteams arbeiten wohl rationaler als reine Frauenteams, dafür sind sie eher weniger kreativ und es entgeht ihnen manche Feinheit. Genau deshalb spielt es eine grosse Rolle, wo man welches Team einsetzt. Auch bei Konflikten erlebe ich Frauen als unnachgiebiger als Männer, was sich auch darin äussert, dass Streitbeilegungen unter Frauen tendenziell schwieriger sind als unter Männern. Die besten Resultate erlebe ich in gemischten Teams. Neben der Komplementarität der Kompetenzen hat man dann auch die verschiedenen Blickwinkel mit am Tisch und die ganze Palette an Ausprägungen in puncto Rationalität, Emotionalität und Kreativität. Da liegt ein grosser Mehrwert drin!

 

 

HEINZ KARRER (52) CEO der Axpo Holding AG

Ladies Drive: Was verbinden Sie mit dem Begriff Männer und Macht? Heinz Karrer: Bis zu einem gewissen Grad vermute ich ein gewisses gesellschaftliches Abbild, dass es noch immer mehr Männer in den höheren Führungsfunktionen gibt. Zudem denke ich, dass Männer ähnlich agieren in solchen Funktionen.

Das heisst männertypisch funktionieren? Teams funktionieren anders, wenn sie nur aus Männern bestehen oder wenn Frauen dabei sind. Männer folgen in ihrer Redeweise, ihrem Denken und beim Einbringen von Inputs anderen, vielleicht männerspezifischen Verhaltensweisen, und so sind Männerthemen automatisch stärker vertreten.

Haben Sie eine Frau in der Geschäftsleitung? Nein, leider nicht. Finden Sie das schade? Ja, das ist schade. Wir hatten kürzlich einen Wechsel in der Konzernleitung, und zwar auf der Ebene des Finanzchefs. Der Auftrag an den Headhunter lautete, eine Frau für die Position zu gewinnen. Bei der international ausgerichteten Suche stellte sich jedoch bald heraus, dass auf dieser Ebene sehr wenige Kandidatinnen in Frage kamen. Es standen kaum Frauen zur Disposition und die wenigen Bewerberinnen hatten nicht die erforderliche Qualifikation. Insofern ist es schade – aber wir haben einen Versuch unternommen. Weibliche Führungskräfte zu finden, ist zudem schwieriger, wenn es um technische Berufe geht. Es ist sicherlich nicht unmöglich, aber nicht einfach.

Um auf unser Thema zurückzukommen, was bedeutet für Sie Macht? Spontan? – Macht (zögert)… Sie bemerken dies an meiner Gestik und Mimik, Macht wird generell häufig mit etwas Negativem verbunden. Macht bedeutet für mich persönlich Verantwortung – das klingt auch besser. Und Verantwortung bedeutet, die Möglichkeit zu haben, zu lenken, was wiederum als Macht interpretiert werden kann. Im positiven Sinn heisst es, richtig und adäquat mit Verantwortung umzugehen und zu führen.

War Macht ein Motivator in Ihrer Karriere? Ich bin Mannschaftssportler, also bin ich es gewohnt, gemeinsam mit anderen ein Ziel anzustreben und hoffentlich zu erreichen. Das heisst, es kommt nicht nur auf mich an. Es ist viel schöner, sich mit Anderen zu freuen, als dies alleine zu tun. Ich fand es immer spannend, Verantwortung zu übernehmen und etwas zu bewegen.

Was fasziniert Sie an der Verantwortung? Verantwortlich zu sein dafür, was man erreicht und was man nicht erreicht hat. Niederlagen waren zwar immer unangenehm für mich. Im Sport wie auch im Business. Die Niederlage war jedoch auch immer ein Ansporn. Leute für ein Ziel zu motivieren und zu begeistern, betrachte ich generell als spannende Aufgabe. Auch heute – wir leben in extrem schwierigen Zeiten – sehe ich dies als grosse Herausforderung. (Nach einer kurzen Pause) Wer sich in dieser Situation nicht wohlfühlt, sollte eine andere Aufgabe übernehmen.

Haben Sie auch berufliche Niederlagen erlebt? Ja, einige. Das ist selbstverständlich. Es wäre komisch, wenn es anders wäre. Um ein Beispiel zu nennen: Ich wurde früher einmal angefragt, ob ich bereit wäre, die Gesamtverantwortung für eine Firma zu übernehmen. Die ganze Unternehmensgruppe befand sich damals in einer finanziell sehr schwierigen Situation. In meinem jugendlichen Übermut sagte ich selbstverständlich trotzdem zu.

Es gelang mir in der Folge zwar, die Firmen-Gruppe nachhaltig zu restrukturieren und zu sanieren, doch waren wir gezwungen, einige Unternehmen zu verkaufen und über 100 Stellen abzubauen. Dies entsprach jedoch nicht meiner Ambition. Wir konnten beispielsweise den Verlust einer Tochtergesellschaft zwar auf einen Drittel reduzieren, waren aber notgedrungen dennoch gezwungen, zu verkaufen. Dies habe ich seinerzeit als Niederlage empfunden, auf der anderen Seite sind wir nicht Konkurs gegangen! Ein anderes Mal ist es mir nicht gelungen, den Firmen-Inhaber für notwendige kulturelle Veränderungen zu gewinnen. Bei einer anderen Firma mussten wir ein paar Tausend Stellen abbauen. Es ergaben sich auch hier immer wieder Niederlagen, beispielsweise durch falsche oder zu spät getroffene personelle Entscheide, die Rückschläge und auch hohe Kosten nach sich zogen. Fazit: Es gab einige Niederlagen in meiner beruflichen Laufbahn.

Wie gehen Sie mit Niederlagen um? Ich reflektiere und versuche das ganze Bild zu sehen. Was war nicht optimal, was hätte anders gemacht oder früher eingeleitet werden sollen? Ich versuche also möglichst viel zu lernen, um künftig in ähnlichen Situationen besser gewappnet zu sein. Wichtig ist auch, dass man zu einem Fehler stehen kann und sich dafür nicht schämt. Wir sind alle nur Menschen und machen Fehler.

Sie haben also keine Mühe sich in Ihrer Position hinzustellen und zu sagen, Sie hätten einen Fehler gemacht? Doch. Aber ich denke, mit dem Alter geht man gelassener damit um, Fehler einzugestehen. Man bekommt etwas Distanz zum Geschehen und begreift sich als Teil davon.

Herr Karrer, Sie haben eine Familie. Darf ich fragen, wie Sie mit der Doppelbelastung umgehen? (lacht) Belastung bedeutet etwas Negatives, mich belastet das jedoch nicht. Ich habe das Gefühl, ich wäre nicht in diesem Masse ausgeglichen ohne Familie. Das Familienleben ist Teil meines Lebens. Es gibt allerdings nicht mehr viel Platz für Anderes mit ähnlichem Engagement. Auch hier denke ich, über die Jahre wird einem bewusster, sich zwischen den Terminen Freiräume zu erarbeiten. Wir haben drei Abende für die Familie reserviert und diese werden neun- von zehnmal eingehalten. Dann bin ich um 20:00 Uhr zu Hause. Am Wochenende nehme ich mir frei und sonntags ab 20:00 Uhr arbeite ich. Meine Frau und ich haben in der Regel einen festen Abend miteinander, den wir meist auswärts verbringen – sonst wird oft nichts aus der geplanten Zweisamkeit. Das ist so in etwa das Grundgerüst in unserer Agenda und das macht mich planbar für die Familie.

Da wir schon von Planung reden. Haben Sie Ihre Karriere geplant? Ich habe zuerst eine kaufmännische Lehre absolviert und mich dann für eine Zweitweg-Matura entschieden. Im Alter von etwa 23 reifte der Entschluss, Wirtschaft zu studieren. Mein erster Job war ein Zufall. Ich wurde aufgrund meiner sportlichen Vergangenheit angefragt. Durch diesen Bonus bekam ich schon in jungen Jahren einen verantwortungsvollen Job in der Sportartikelbranche. Dann kam ich zu Intersport, bis ich nach acht Jahren von Ringier angefragt wurde. Nach dreimonatiger reiflicher Überlegung entschied ich mich, den Sprung in die spannende Verlagswelt zu wagen. Kurz bevor ich dann Ringier verlassen hatte, habe ich den damaligen COO von Swisscom kennengelernt. Als er erfuhr, dass ich bei Ringier den Hut nehme, rief er mich noch am selben Tag an. Ich erbat dennoch eine Pause und ging mit meiner Familie auf Amerikareise. Als ich zurückkam, war der Job tatsächlich noch immer frei – und ich habe zugesagt, obwohl ich von Telekommunikation damals keine Ahnung hatte. Nach fünf weiteren Jahren bei Swisscom habe ich mir Zeit für eine Pause genommen. Ein Headhunter kontaktierte mich in diesen sieben Monaten Auszeit wegen eines Jobs bei der Axpo. Selber wäre ich nie auf die Idee gekommen, diese Stellung zu bekleiden! Wenn ich nun so zurückdenke … bei jeder dieser Firmen hätte ich ein Leben lang bleiben können. Einfach weil ich meine Arbeit, die Aufgabenstellung liebe. Das Produkt ist eher nebensächlich, wichtig ist mir, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Zurück zu Ihrer Frage: Meine gesamte Laufbahn war also keine Planung, sondern eher zufällig. Es boten sich mir Chancen, die ich ergriff.

Wie wichtig ist das Netzwerk, wenn man an die Spitze eines Unternehmens möchte? Es war weniger Netzwerk und Planung, sondern vielmehr Glück und Chancen, die sich mir boten. Zuerst über den Sport, dann über die Referenzen aus meiner unternehmerischen Tätigkeit heraus. Ich habe meine Arbeit einfach leidenschaftlich gerne gemacht – und daraus haben sich die Optionen ergeben.

Wo sehen Sie die grössten Konflikte, wenn Sie an Frauen im Top- Management denken? Es ist klar, dass ein Nachholbedarf herrscht. Es hat deutlich weniger Frauen in höheren Positionen, das ist eine Realität. Die Gesellschaft hat sich indessen entwickelt und mit ihr das Selbstbewusstsein der Frauen. Mit ihren steigenden Ansprüchen wachsen auch die Möglichkeiten – das sieht man in Wirtschaft und Politik. Insofern kann man nur sagen, hoffentlich geht das so weiter. Dies bezweifle ich keinen Moment, denn alle Voraussetzungen sind da. Die Dynamik zeigt sich auch im höheren Frauenanteil in Ausbildungsstätten verschiedener Berufsgattungen. Das Thema Familie ist kein Karrierehindernis mehr, da sich das Rollenverständnis in den letzten Jahren verändert hat. Das biologische Thema bleibt allerdings eine Realität. Dieser Konflikt ist bei einer Frau viel stärker als beim Mann. Meistens kommen Karrieremöglichkeiten und die Frage nach der Familiengründung in etwa zur gleichen Zeit, nämlich im Alter zwischen 30 und 40 Jahren.

Wenn Sie heute in Unternehmen junge Frauen und Männer sehen, gibt es da Unterschiede im Vergleich zur früheren Generation? In meiner Wahrnehmung haben jüngere Leute einen lockereren Umgang mit dem Thema Karriere. Die Ernsthaftigkeit, mit der man früher diesbezüglich Fragen behandelte, ist heute viel weniger anzutreffen.

Wie stehen Sie zu Leuten, die sich sehr stark positionieren, um weiterzukommen? Negativ. Ich finde es immer schade, da ich meine, es ist nicht notwendig. Man erkennt Qualitäten und Talente, falls sie vorhanden sind. Wobei man aufpassen muss: Es ist immer eine Gratwanderung, ob es sich um übermotiviertes Verhalten oder schlicht Durchsetzungskraft handelt. So versuche ich die Frauen und Männer mit Durchsetzungsvermögen zu fördern und die aggressivere Methode nicht zu belohnen oder zu ignorieren.

Sie würden einen forscheren Mitarbeiter nicht fördern? Im Gegenteil. Wenn jemand unbedingt Karriere machen will, beinhaltet dies häufig Rücksichtslosigkeit. Es ist wie bei einer Waage: Wie stark wird das „Ich“ und wie stark das „Wir“ betont? Überwiegt das „Ich“, kann der Egoismus überhand nehmen, was zu negativem Verhalten führt. Ich persönlich denke, es muss jemand sehr menschennah sein, um eine Führungsfunktion wahrzunehmen.

Gefällt es Ihnen, an oberster Stelle eines Konzerns wie der Axpo zu stehen? Mich erfüllt die Aufgabe zutiefst. Es fordert mich ganz extrem und ich geniesse es sehr. Es hat vielleicht mit meiner Vergangenheit im Leistungssport zu tun, dass ich mich gerne im Grenzbereich bewege. Das macht mir grosse Freude und Spass. Ich werde zurzeit öfters gefragt, wie es mir in dieser angespannten Situation geht; und ich sage: Danke, sehr gut! Und werde dann ungläubig angeschaut. Doch es ist wirklich wahr.

Das sieht nach einer gewissen Leidensfähigkeit aus. Sind dies unabdingbare Eigenschaften, um an der Spitze einer Firma zu stehen? Das ist sicherlich so. Axpo ist eine grosse Firma mit vielen Herausforderungen – ich könnte auch 24 Stunden am Tag hier arbeiten. Wenn man mit der Belastung umgehen kann, Distanz hat und reflektieren kann, dann ist man in einer Balance. Aber es setzt natürlich voraus, dass man diesen Grenzbereich aushalten kann – vielleicht sogar ein bisschen gerne hat. Wenn es einem dabei unwohl ist, sollte man etwas verändern, sonst verliert man an Authentizität und schadet der eigenen Gesundheit …

Meine letzte Frage betrifft den Begriff Machtmissbrauch. Er ist derzeit in aller Munde. Herr Karrer, warum wird Macht so gerne missbraucht? Möglicherweise besteht die Gefahr, dass man abhebt. Es kann sein, dass Leute in speziellen Umgebungen, in gewissen Funktionen und mit einem gewissen Status gefährdet sind – und sich gar nicht bewusst sind, dass sie die Grenze zum Machtmissbrauch eigentlich schon überschritten haben.

Fehlt die Erdung? Ja, das kann sein. Machtmissbrauch fängt bei kleinen Dingen, zum Beispiel bei den Spesen, an. Aber mal ehrlich – wir sind alle gut bezahlt. Da dürfen solche Dinge nie und nimmer ein Thema sein.

Vielen Dank. Haben Sie unseren Fragen und diesem Thema noch etwas hinzuzufügen? Nein – es war spannend, über Fragen nachzudenken, die man sich selber nicht in dieser Weise stellt.

 

 

Louis Siegrist (50) People Partner Schweiz , Mitglied der Geschäftsleitung bei Ernst &Young

Ladies Drive: Herr Siegrist, welche Gedanken und Assoziationen ruft das Thema „Männer an der Macht“ bei Ihnen hervor? Louis Siegrist: Wenn ich es rein faktenbezogen betrachte, kommt mir als Erstes in den Sinn, dass der Grossteil der Führungskräfte noch immer aus Männern besteht. Auch dass dies seit längerem ein gesellschaftliches Problem ist und es verschiedene Strategien gibt, damit umzugehen. Einige Länder haben Quotenregelungen auf Geschäftsleitungs- und Verwaltungsebene eingeführt, andere stellen dem Ungleichgewicht klare Förderungsprogramme gegenüber. Und es gibt Länder, die … gar nichts machen.

Und wo auf dieser Skala steht aus Ihrer Sicht die Schweiz – und Ernst&Young? Wir haben uns dem „Diversity and Inclusiveness“- Programm verschrieben, welches umfassender konzipiert ist als nur die Frage nach Frau oder Mann. Gender und damit verbunden eine grössere Vertretung von Frauen in Führungsfunktionen ist sicher eines der Hauptthemen. Die Aufarbeitung und Messung solcher Erfahrungen bietet nun die Basis für einen Anfang. Wir eruieren zielgerichtet, das heisst, wir haben keine Quoten – aber Ziele.

Wie viele Frauen sind bei Ihnen denn an der Macht? Wir hatten gerade wieder zwei Beförderungen. Der Frauenanteil in der Gesamtbelegschaft beträgt 40,7 %, im Kader sind es 22 %.

Was denken Sie persönlich – gibt es Unterschiede im Umgang mit Macht zwischen den Geschlechtern? (Nach kurzem Zögern) Meiner Meinung nach gehen Frauen Themen häufig erst mal sachlicher und umfassender an. Männer haben die Tendenz, sich vom persönlichen Standpunkt aus zu überlegen: Ist dies gut, ist dies schlecht für mich, was kann ich gewinnen – verlieren? Dies lassen Männer nicht ausschliesslich, jedoch mit in die Entscheidung einfliessen. Viele Frauen, die ich erlebt habe, betrachten ein Projekt auf einer sachlicheren Ebene und haben weniger die Tendenz, sich selber in den Mittelpunkt zu stellen. Natürlich nicht alle – auch hier gibt es Ausnahmen.

Gehört, um an die Macht zu kommen, ein gewisser Egoismus dazu? Ja, ich glaube, Ehrgeiz braucht es für Männer wie für Frauen. Es kann aber sein, dass der Egoismus und Ehrgeiz der Männer kulturbedingt offensichtlicher und von einer breiten Allgemeinheit besser toleriert ist.

Finden Sie im internationalen Vergleich Unterschiede im Verhalten der Frauen, wenn es um Machtpositionen und den Umgang damit geht? Ich habe persönlich wenig Erfahrung in asiatischen Ländern. Die Frauen in angelsächsischen Ländern aber sind meiner Meinung nach diesbezüglich forscher. In Amerika und England ist der Frauenanteil in führenden Positionen entsprechend höher. Bei uns ist es hingegen gerade in Familienfragen ein Abwägen – entweder Kind oder Karriere. In anderen Ländern geht dies selbstverständlicher Hand in Hand.

Erlauben Sie Ihren Mitarbeiterinnen Kind und Karriere? Ja, absolut. Wir fördern dies auch mit flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten.

… auch für Männer? Ja, das tun wir.

Begegnet Ihnen das Thema Macht mit diesem schalen Beigeschmack auch während Ihrer täglichen Arbeit? Unser Unternehmen funktioniert im Rahmen einer Partnerschaft. Wir haben in der Schweiz etwa 110 Partner mit einem neunköpfigen Management. Es herrscht keine klare hierarchische Gliederung, wie dies in einem Industrieunternehmen der Fall ist. Bei uns werden sehr viele Entscheidungen auf partnerschaftlicher Basis gefällt. Sicherlich verfügen auch wir über eine Führungsverantwortung; bei Ernst&Young wird eine konsensorientierte Kultur gepflegt. Aus diesem Grund steht der Machtaspekt in unserem Unternehmen weniger im Vordergrund.

Was müssen Frauen tun, um vermehrt an die Macht zu gelangen? – Oder geschlechterunabhängig gefragt: Was sollte jemand mitbringen, der an die Macht will? Ich würde bedauern, wenn sich Frauen wie Männer verstärkt auf dieses Ziel ausrichten oder Frauen sich verändern würden. Das wäre ja kontraproduktiv und uns ginge viel wertvoller weiblicher Input verloren. Ich denke, dass wir als Gesellschaft bemüht sein sollten, Talente derart zu fördern, dass alle Menschen geschlechtsunabhängig ihre Stärken und Fähigkeiten erkennen und entwickeln dürfen. Generell gesehen sollte jemand sicher Freude an einer verantwortungsvollen Aufgabe haben, entscheidungsfreudig sein und auf Menschen zugehen können. Zudem sind Konsensfähigkeit und Durchsetzungskraft sowie Sozialkompetenz gefragte Charakterzüge. Diese Eigenschaften sind allgemein gültig.

Gibt es Ihrer Meinung nach etwas, das manche Frauen in weitestem Sinne häufig „falsch“ machen? Ich gehe so weit und sage: wenn eine Frau versucht, ein Mann zu sein.

Wie ist denn ein Mann? Ich meine damit diese selbstbezogene Art der Vorgehensweise und die ständige Positionierung.

Würden Sie mir bitte erzählen, wie Sie zu Ihrer Position gekommen sind? Ja, gerne. Nach der HSG habe ich den eidg. dipl. Wirtschaftsprüfer abgeschlossen und ich bin dann in die Revision übergewechselt. Seit 2008 leite ich den Bereich „Transaction Advisory Services Schweiz“, zudem bin ich Mitglied im Leadership-Team in diesem Sektor für die Länder Deutschland, Schweiz und Österreich. Seit gut zwei Jahren bin ich in der Geschäftsleitung für den Bereich Personal zuständig – den sogenannten People Task. Das macht etwa 35 Prozent meiner Arbeit aus, der Rest ist dann eher Task-orientiert als Leiter der Fachabteilung.

Herr Siegrist, haben Sie Ihre Karriere geplant? Nicht wirklich. Den ersten Karriereschritt mit dem Wirtschaftsprüfer nach der HSG war geplant. Danach habe ich zwar Optionen geprüft, mir ernsthaft Gedanken gemacht. Ernst&Young hat mir just in diesem Moment eine Möglichkeit in einem neu eröffneten Büro in der Ostschweiz geboten – und dieser Schritt war mit der Bekleidung einer leitenden Funktion verbunden. Meine berufliche Laufbahn war also nicht minutiös geplant. Meine Berufung in die Chefetage als Verantwortlicher People Task hat mich, um ehrlich zu sein, eher überrascht.

Haben Sie sich nie entsprechend positioniert im Unternehmen? Sich positionieren und lobbyieren ist ein Stil, der in Partnerschaften nicht besonders gut ankommt. Man kann Interesse an einer Stellung bekunden, aber sich penetrant darum zu bemühen und sich verkrampft zu positionieren, ist nicht erwünscht. Man darf sich indessen auch nicht verstecken. Was man mir nachsagt und zugute hält, ist, dass ich eine eigene Meinung habe und diese besonnen zum Ausdruck bringen kann. Im Personalwesen sind Ausgeglichenheit und Integrität unabdingbare Voraussetzungen. Die Leitung des Tasks war sicherlich ein von mir gehegtes Ziel. Als mein Vorgänger eine andere Funktion übernahm, war mein Antritt eine natürliche Nachfolge. Auch hier war keine detaillierte Karriereplanung im Vordergrund.

Haben Sie jetzt noch Aufstiegsmöglichkeiten? In der Schweiz bliebe nur noch die Stelle des CEO, was ich jedoch nicht anstrebe, da sie sehr viel privates Engagement und Exposure erfordert. So toll es auch ausschaut, die Work-Live-Balance würde für mich nicht mehr stimmen. Ein gewisses Mass an Freizeit für mich und die Familie erachte ich als wesentlich. International gäbe es indessen eine breite Auswahl von Aufstiegsmöglichkeiten.

Was ist der Motivator für Sie? Mein Motivator ist Abwechslung und eine spannende Arbeit. In einem Beratungsunternehmen sehe ich ein sehr breites Spektrum an Kunden, neue Industrien, Problemstellungen und Herausforderungen. Und was meinen Führungsstil anbelangt, würde ich meinen, er ist bewusst kooperativ.

Wie kann man Mitarbeiter kooperativ und trotzdem konsequent führen? Auch dies ist in unserem Hause etwas einfacher zu bewerkstelligen als möglicherweise in einem Industriebetrieb. Rund 90 Prozent der hiesigen Mitarbeiter verfügen über eine höhere Schulbildung und wollen beruflich vorankommen, sind motiviert. Führung ist indes notwendig, auch wenn ich die Macht nicht ausnutze, sondern stets das Gespräch suche. Wenn Sie so wollen, pflege ich einen natürlichen Führungsstil.

Sehen Sie eine gewisse Veränderung bei den jungen Frauen und Männern? Geht die neue Generation anders mit Macht und Karriere um? Ich denke, früher ist man oft über den Input definiert worden: Wie lange und wie hart arbeitet jemand.

Das hat sich durchaus geändert. Die jüngeren Mitarbeiter haben höhere Ansprüche, was Arbeitszeit, Weiterbildung und Kultur anbelangt. Sie legen zudem weniger Wert auf Loyalität. Zu meiner Zeit hatte man einen Horizont von fünf bis sechs Jahren, heute sind es noch deren zwei bis drei. Die jüngere Generation blickt sich vermehrt nach neuen Optionen um. Ein Wechsel geschieht viel natürlicher mit bedeutend weniger Widerständen – bei Männern wie bei Frauen.
Dies ist weder gut noch schlecht. Man muss sich allerdings fragen, wie sich der fehlende Durchhaltewille oder Drive der aktuellen Generation – zumindest hierzulande – auf die Gesellschaft auswirken wird. Demgegenüber steht ein gewisser Druck von ehrgeizigen jungen Konkurrenten aus dem asiatischen und östlichen Raum.

Was ich zum Schluss noch gerne wissen möchte, ist, wie Sie mit den politischen Dimensionen umgehen, die einem in der Spitzenposition häufig begegnen? Ich bin der Überzeugung, das ist bei uns anders. Das interessiert nicht. Es gibt durchaus Mitarbeiter, die Politik machen – das merkt man schnell. Doch ich gehöre nicht dazu.

Und wie gehen Sie damit um, wenn Sie solch ein Verhalten bei Mitarbeitern bemerken? Es hat schlicht keinen Einfluss auf meine Entscheidungen. Ich finde es falsch, jemanden aus solchen Gründen zu fördern oder nicht zu fördern. Ich versuche auch hier, objektive Kriterien anzuwenden, sprich: Wer kann es am besten.

Wenn ich Sie so höre, dann war es einfach für Sie, in diese hohe Position vorzurücken? (lacht) Ich musste niemanden um die Ecke bringen oder wegdrängen, um meinen Job zu erhalten. Es ist vermutlich eine Mischung. Es gibt bestimmt ehrgeizigere Managementmitarbeiter als mich. Daher bin ich wohl eher ein atypisches Beispiel. Aber es ist nicht zwingend notwendig, dass man seine Ellenbogen ausfährt, um aufzusteigen. Fachliche und soziale Komponenten wiegen schwerer: Wenn man lange genug bei einem Arbeitgeber bleibt und auch Loyalität zeigt, stehen die Chancen gut, in eine Führungsposition zu gelangen.

Wie viel Verzicht mussten Sie üben aufgrund Ihrer Karriere? Ich verzichte auf Zeit, vor allem auf Freizeit. Ich habe früher noch mehr gearbeitet; mittlerweile sind es etwa zehn Stunden am Tag.

Wie gehen Sie mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie um …? Das ist eine gute Frage. Seit ich Kinder habe, versuche ich eigentlich konsequent die Wochenenden frei zu halten. Das schaffe ich nicht immer, aber fast immer. Ich halte mir den Freitagabend sowie einen weiteren Abend für die Familie frei. Drei Abende sind derweil für geschäftliche Belange reserviert.

Gab es einmal eine Situation, wo Sie sich sagten, ich verzichte darauf, weiterzukommen zu Gunsten der Freizeit und meiner Familie? Ja, das kam vor. Man ist ja nicht nur ein Funktionsträger …

 

 

Macht – und Machtmissbrauch: Kritische Fragen in kritischen Zeiten an die Expertin in Sachen Corporate Compliance und Wirtschaftskriminalität, Sonja Stirniman, Senior Manager bei Ernst & Young Schweiz.

Ladies Drive: Die globale Finanzmarktbranche befindet sich in einer turbulenten Zeit – wie verfolgen Sie diese Geschehnisse? Sonja Stirnimann: Ich verfolge die Geschehnisse anhand der aktuellen Berichterstattungen in den Medien und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich einiges verändern wird, besser gesagt soll. Persönlich blicke ich gespannt auf die Aktivitäten, welche aktuell unternommen werden, insbesondere die verschiedenen Anpassungen der Regulatorien auf globaler Stufe.

Hat aus Ihrer Sicht ein Umdenken in der Bankenwelt stattgefunden, in den Köpfen der Menschen mit Macht? Es ist durchaus feststellbar, dass aufgrund der Ereignisse der vergangenen Jahre, Monate und Wochen das Bedürfnis nach mehr Regulierung und verstärkter Kontrolle erkennbar ist. Dies heisst jedoch nicht, dass alle Entscheidungsträger an der sogenannten „Macht“ für mehr Regulatorien plädieren.

Müssen wir unsere Machtverhältnisse überdenken in Zukunft, Abschied nehmen von der Art, Wirtschaft zu betreiben, wie wir es bislang getan haben? Veränderungen bedeuten auch Unsicherheit. Wie diese Veränderungen in den Unternehmen schlussendlich aussehen und wie rasch diese umgesetzt werden können, ist für mich im Moment noch nicht eindeutig klar. Es kann gut sein, dass sich das eine oder andere Unternehmen überlegt, ob die Geschäftsstrategie noch in ihrem Sinne ist und den veränderten Anforderungen des Marktes sowie dem regulatorischen Umfeld entspricht und schlussendlich auch entsprechend umgesetzt wird.

Inwiefern hat Wirtschaftskriminalität mit Machtmissbrauch zu tun, egal welchen Geschlechts, welcher Religion und Herkunft? Bei Wirtschaftskriminalität gilt es das sogenannte „Fraud-Dreieck“ zu beachten: Es besteht aus „Gelegenheit“, „Motivation“ und „Rechtfertigung“. Wenn diese drei Faktoren aufeinandertreffen – was übrigens nicht ungewöhnlich ist – kann es sein, dass die Situation genutzt wird und Aktionen vorgenommen werden, welche den internen und/oder externen Richtlinien widersprechen. Um auf Ihre Frage zu antworten: Ja, es braucht ein gewisses Mass an „Macht“ oder in diesem Kontext eine „Gelegenheit“, um so eine Handlung durchzuführen.

Konstatieren Sie einen Unterschied in puncto Wirtschaftskriminalität, was die Geschlechter angeht? Eine spannende Frage. Ich habe beides bereits gesehen und erlebt. Es gibt Frauen und Männer, die als sogenannte Wirtschaftskriminelle Berühmtheit erlangt haben. Wir könnten die Thematik jetzt auseinandernehmen und würden über Fragen stolpern wie zum Beispiel: Wer mit welchem Geschlecht/welcher Herkunft sitzt an welchen Stellen im Unternehmen und hat somit mehr „Gelegenheiten“? Und wer hat den grösseren „Druck“ und agiert daher aus einer „Motivation“ oder wer fühlt sich mehr benachteiligt? Um Ihre Frage zu beantworten: Wir treffen in der Praxis auf Frauen und Männer.

Was müssen insbesondere die Grossunternehmen tun, um Machtmissbräuche zu verhindern? Was sind die wichtigsten Schritte? Eine der wichtigsten Fragen, die man sich stellen soll, ist: Kenne ich die Risiken im Zusammenhang mit meiner Geschäftstätigkeit? Wie viele Risiken kann und will ich eingehen? Kenne ich meinen sogenannten „Risiko-Appetit“? Welche Risiken kann und will ich wie vermeiden? Was gibt es für Möglichkeiten, gewisse Risiken zu transferieren, zum Beispiel sie zu versichern? Klar muss aber auch sein: Eine 100-prozentige Elimination der Risiken gibt es nicht. Sie gehören zum Geschäftsleben.

Und was muss man tun, wenn ein Machtmissbrauch entdeckt wurde? Wie geht man mit der Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität um und welche Konsequenzen müsste man daraus ziehen? Es gibt unterschiedliche Wege wie Unregelmässigkeiten ans Tageslicht kommen. Mal sind es Zufälle, mal entdeckt es der interne oder externe Prüfer oder ein neuer Mitarbeitender. Häufig beobachten wir aber auch einen internen Verdacht durch die oberste Führungsebene, der sich dann nach und nach erhärtet. Viele Unternehmen, insbesondere Grossunternehmen, haben bereits Rahmenbedingungen im Sinne eines Fraud-Risiko- Frameworks implementiert und besitzen damit ein individuelles Frühwarnsystem. Für die Aufarbeitung von Unregelmässigkeiten ist ein externer Blick auf diese Thematik von grossem Nutzen. Er ermöglicht raschen Zugriff auf Expertenwissen, sofortige Umsetzung von Massnahmen und allenfalls Untersuchungen. Nicht zuletzt verhindert dieser die berühmte Betriebsblindheit.

Was bedeutet Ihnen selbst Macht? Was ich schätze ist Kompetenz. Kompetenz im Sinne von machen „können“, sprich eine Fähigkeit mitzubringen und machen „dürfen“. Je besser dies korreliert, desto erfolgreicher können die Individuen agieren und Teams kooperieren. Ob das immer zum Guten des Gesamten beiträgt, wenn man mit Macht machen kann, was man machen will, das bezweifle ich persönlich.

Weshalb fasziniert Sie der Bereich Wirtschaftskriminalität? Ich bin von Grund auf ein gerechtigkeitsorientierter Mensch. Deshalb interessiere ich mich sehr dafür, warum etwas so und nicht anders läuft, warum Individuen so reagieren und nicht einen anderen Weg wählen. Ich unterstütze einerseits Unternehmen, die sich präventiv oder vor einem zu befürchtenden (Reputations-)Schaden, welcher Wirtschaftskriminalität schlussendlich mit sich bringt, schützen wollen. Andererseits sind wir für diejenigen Kunden da, welche geschädigt wurden und nun die notwendige Aufarbeitung der Beweislage nicht alleine durchführen wollen oder können. Die sogenannten Fakten als Beweismittel bereiten wir als Team für unsere Kunden auf, damit sie weitere in Betracht zu ziehende Schritte vornehmen können.

Was ist das häufigste „Verbrechen“, welchem Sie begegnen? (lacht) Ganz klar! Unbefugtes Parkieren vor meiner Haustüre!

 

Veröffentlicht am Februar 07, 2012

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