Im Flug Vergeht die Zeit

Text: Dörte Welti
Fotos: Oliver Oettli

Es ist nicht alltäglich, als zivile Person „backstage“ am Zürcher Flughafen in Kloten zu sein und mit einem Team eine Fotoproduktion durchführen zu können. Für die Vertreterin der legendären Schweizer Uhrenfirma Favre-Leuba nicht, die das „Objet de Choix“, eine neue Raider Sea Bird-Uhr, dabeihat, für den Fotografen und seinen Assistenten nicht und auch nicht für die Autorin, Dörte Welti. Nur die erfahrene Pilotin, die fühlt sich hier mehr als zu Hause.

Nadine Laura Hachen heisst die Pilotin und hat an diesem Tag normalerweise flugfrei. Aber die junge Kapitänin der Helvetic Airways ist gern dabei, um die Philosophie der Uhrenmarke Favre-Leuba Bild werden zu lassen. Eine Philosophie, die Pioneering Women im Fokus hat und die Idee von „Conquering Frontiers“ bei allen ihren Entwicklungen verfolgt. Pioneering Women steht bei
Favre-Leuba für Frauen, die vorgegebene Grenzen sprengen und sich selbst verwirklichen wollen, aber dazu später. Wir treffen uns vor einem der Tore, die zu den nicht öffentli- chen technischen Bereichen des Flughafens Kloten in Zürich führen und gesichert sind wie Fort Knox. Nach den Sicherheitschecks, die auch vor der mitgeführten Uhr nicht halt- machen, geleitet uns die Maintenance Crew der Helvetic Airways durch ein paar Gänge, und plötzlich stehen wir in einem der riesigen Hangars. Vor unserem Auge kommt unverhofft das erste Highlight des Tages ins Bild, das vor allem eingefleischte Aviaten neidisch machen wird: die „Super Connie“, die in allen Erdteilen über viele Jahre die Lüfte beherrscht hat. Der wunderschöne Airliner Super Constellation war zuletzt in den Schlagzeilen, weil seine Restaurierung viel mehr Geld verschlingt als angenommen. Das Flugzeug aus den 1950er-Jahren hat stärkere Schäden, als es dem Verein Super Constellation Flyers Association SCFA, der es 2002 in Kalifornien kaufte, restaurierte und in die Schweiz brachte, bewusst war. Nadine Hachen schaut interessiert, so richtig vom Stuhl hauen tut es sie aber nicht. Sie freut sich viel mehr auf die Begegnung, die vor ihr liegt. Das Shooting mit der neuen Sea Bird-Uhr von Favre-Leuba findet nicht einfach irgendwo auf dem Flugfeld statt, sondern in und um eine Fokker 100 der Helvetic Airways.

 

 

Gar nicht abgehoben

Zu dem Parkplatz bringt uns die Maintenance Crew, im Auto erzählt Nadine von ihrer nicht alltäglichen Lauf bahn. „Früher gab es in meinem Umfeld ein paar Frauen, die haben als medizinische Praxisassistentin oder Pharmaassistentin gearbeitet“, erinnert sich die heute 32-jährige Kapitänin, „also schaute ich mir die Berufe genauer an und fand eigentlich, das wäre auch etwas für mich.“ Einer ihrer Lehrer aber sah das komplett anders und fand, Nadine sei die ideale Militärjetpilotin. Das interessierte sie aber zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht. (Zur Info: Erst in diesem Jahr hat tatsächlich eine Frau die Ausbildung zur Militärpilotin abgeschlossen; die Altersgrenze liegt bei 22 Jahren für die Bewerbung respektive 23 für Offiziere). Nadine fand später trotzdem ihren Weg zur Aviatik, der sie vorerst in die Kabine brachte. Sie bewarb sich 2007 bei den Helvetic Airways als Cabin Attendant, wurde angenommen, machte die Ausbildung und begann zu fliegen. Nach einem Jahr bestand Nadine das Upgrade zur Senior Cabin Attendant und blieb insgesamt sieben Jahre „in der Kabine“. „Grad am Anfang als Cabin Attendant hatte ich die Chance, für Start und Landung im Cockpit mitzufliegen“, erklärt Nadine. Kein Wort von „Huch, eine Männer- domäne“ oder „Sind Frauen überhaupt dafür geeignet?“. Nadine gefiel, was sie dort sah und die Perspektive, dereinst selbst Pilotin zu sein. Ihre Kolleginnen gaben ihr sozusagen den Rest, sie schenkten ihr zum Geburtstag einen Schnupperflug auf dem Flugplatz Birrfeld. Was sie da erlebte, hat Nadine so nachhaltig geprägt, dass sie sich später bei der Flugschule anmeldete, wissend, dass sie die Ausbildung selbst finanzieren musste. „Da die Ausbildung sehr teuer ist, musste ich mehrere Jahre ganz schön unten durch“, erklärt die zierliche Pilotin ohne einen Anflug von Bedauern. Man merkt, sie ist stolz, durchgehalten zu haben und für sich Grenzen überwunden zu haben. 2014 begann Nadine als Co-Pilotin bei Helvetic Airways, seit 2018 trägt sie die vier Streifen der Kapitänin und fühlt sich im Cockpit zu Hause.

 

Das fliegende Klassenzimmer

Wir erreichen die Fokker 100, ganz allein steht sie da, technisch einwandfrei, bereit, zu ihrem neuen Besitzer geflogen zu werden. Nadine ist spürbar emotional, sie begann ihre Cabin-Attendant- und Pilotenlauf bahn auf eben dieser Fokker 100 und hatte schon gedacht, sie würde das zweistrahlige Passagierflugzeug nicht nochmals betreten. Ihre Augen funkeln, als sie sich in der Maschine umschaut, die heute fast schon zu den Oldtimern gehört. „Alle vier Stationen meiner fliegerischen Karriere habe ich in diesem Flugzeug absolviert“, resümiert Nadine Hachen und nimmt ein letztes Mal auf dem Kabinen-Jumpseat der alten Lady für ein Erinnerungsfoto Platz. Helvetic Airways erneuern derzeit ihre Flotte. „Im Herbst bekommen wir nigelnagelneue Embraer 190-E2“, verrät Nadine. „Im Januar dieses Jahres habe ich schon die Umschulung auf die Embraer 190-E1 gemacht, die wir bereits fliegen. So eine Umschulung besteht aus einem theoretischen Systemkurs und einem praktischen Teil im Simulator. Im März hat dann die Einführung auf der Linie begonnen, seit April 2019 darf ich die Embraer 190-E1 fliegen.“ Für die Embraer 190-E2 braucht es dann noch eine weitere Umschulung von noch einmal drei Tagen. Mit „wir“ meint Nadine übrigens die Piloten der Helvetic Airways. Von 189 Piloten sind es hier zehn Frauen. Das führt dazu, das die Co-Piloten, mit denen Nadine fliegt, meist männlich sind. „Es ist etwas Besonderes, wenn eine rein weibliche Crew an Bord ist, weil wir bis heute so wenige Frauen sind“, sagt die Kapitänin, „und es gibt immer noch Passagiere, die mich beim Einsteigen – wir begrüssen alle Passagiere nach Möglichkeit gemeinsam beim Ein- und Aussteigen – zwar sehen, mich aber für eine Flugbegleiterin halten. Erst beim Aus- steigen realisieren sie dann, dass ich ja geflogen bin. Vorn und in entscheidender Position.“ Ressentiments erlebt sie nicht. Überhaupt ist es nicht ihr Ding, von Männerdomäne oder Frauenquote zu sprechen. Der Beruf sei für Männer und Frauen gleicher- massen geeignet, Punkt. „Ich kann ihn von ganzem Herzen allen Frauen empfehlen, die sich für die Aviatik interessieren“, unterstützt Nadine die derzeit laufenden Anstrengungen, in denen Helvetic Airways – und übrigens auch andere Airlines – explizit versuchen, Frauen für das Gebiet der Luftfahrt zu begeistern. Der Beruf umfasse technische Aspekte, jedoch seien sie bei Weitem auch keine Mechaniker. Nadine bekräftigt, es gebe keinen Job, den Frauen in der Luftfahrtindustrie nicht auch machen könnten. Vielleicht sei es körperlich etwas schwieriger in den Bereichen, die mit dem Befördern des Gepäcks zu tun haben, aber ansonsten können Frauen genau die gleichen Berufe in diesem Metier ergreifen wie die Männer, was sie mit der Inspiration zu „Conquering Frontiers“ von Favre-Leuba direkt verbindet.

 

 

Fliegen in Zeiten der Klimadiskussion

Trotzdem muss man sich fragen, ob ein Job in der Aviatik heute noch opportun ist ange- sichts der anschwellenden Klimadiskussionen. Fliegen gehört zu den umweltbelastenden Aktivitäten, wenn auch der CO2-Ausstoss gemäss Klimaschutzportal nur 2,69 Prozent weltweit an der gesamten CO -Emission beträgt. Die Zahlen variieren, der WWF rechnet anders, die Fluggesellschaften auch. Zahlen hin oder her: Fliegen belastet wie Schifffahren, Autofahren, Zugfahren etc. die Umwelt. „Ich finde es sehr gut, dass man sich über das eigene Verhalten Gedanken macht“, gibt Nadine zu, „allerdings fände ich es schade, wenn man ganz darauf verzichten würde. Alles ist doch eine Frage des Masses. Es ist so schön, die Welt zu entdecken, und die Perspektive und das Gefühl beim Fliegen sind schlicht einmalig. Für mich ist das Fliegen immer noch ein kleines Wunder und nicht selbstverständlich. Wenn man es nicht als selbstverständlich betrachten würde, dürfte man auch bewusster fliegen.“ Und ausserdem würden die neuen Flieger weniger schädlich unterwegs sein, schliesslich werde dauernd weiterentwickelt. Nadine unter- streicht, dass der Preiskampf und die daraus resultierenden Billigtickets nicht hilfreich seien in der Diskussion darum, wie man den Flugverkehr gezielt steuern könnte. Aber eben, es ist eine Leidenschaft, und es wird uns allen schwerfallen, heiss geliebte Gewohnheiten wie das Fliegen auch einzuschränken oder sogar ganz ad acta zu legen.
Time’s up!
Dann ist die Zeit um, die starken Fotos mit der schönen Uhr am Handgelenk sind geschossen. Eine Menge Motive hat es gegeben, im Cockpit, beim Routinecheck, bei dem die Pilotin um das Flugzeug herumgeht, eine exklusive Tätigkeit, die heute nur für die Fotos gemacht wurde, denn Nadine wird diesen Vogel nicht mehr bewegen. Sie lässt es sich nicht nehmen, die Fokker 100 zum Schluss persönlich wieder abzustellen, wie wenn sie gerade von einem Flug kommt und den Vogel parkt. Mit der Checkliste in der Hand schaltet sie die Lichter, Monitore und das Hilfstriebwerk aus. Dann nimmt Kapitänin Nadine Hachen ihren Blazer, ihr iPad und den Pilotenkoffer, rückt die Sonnenbrille zurecht, wirft einen letzten Blick auf ihre lieb gewonnene Raider Sea Bird, schreitet die Treppe hinab und geht. In den wohlverdienten Feierabend. „Ich wohne nicht in der Gegend, bewusst“, beschreibt Nadine ihre Routine nach Arbeitsschluss, „ich brauche den Abstand, in den Feierabend zu fahren.“ Mit Joggen, Schwimmen und im Winter Snowboarden behält sie Bodenkontakt und macht sie sich fit für die Fliegerei. Für Nadine ist es der schönste Job der Welt.

 

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN:
In Deutschland gibt es aktuell ca. 600 Pilotinnen. Erst 1986 begannen die ersten Frauen ihre Ausbildung an der konzern- eigenen Fliegerschule der Lufthansa. Die britische Fluggesellschaft Easyjet hat gemäss Konzernchef Johan Lundgren angekündigt, bis 2020 deutlich mehr Frauen ins Cockpit zu bringen, bis dahin soll jeder fünfte neu eingestellte Pilot weiblich sein. 2018 waren fünf Prozent Frauen als Pilotinnen bei der Fluglinie beschäftigt. Im Februar 2019 stellte die Schweizer Armee ihre erste F/A-18-Pilotin vor – die 28-jährige Fanny Chollet. Auch bei der Airline Swiss sind 5 Prozent der Piloten Frauen.

swiss-pilots.ch
www.lufthansagroup.com
corporate.easyjet.com
www.favre-leuba.com
www.helvetic.com


 

 

Veröffentlicht am September 27, 2019

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