Frauen IN den Medien – und das Frauenbild der Medien

Text: Sandra-Stella Triebl
Mitarbeit: Linda Roniger, Claudia Gabler, Isabel Steinhoff

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, so der Soziologe Niklas Luhmann. Es sind Menschen, die die Inhalte der Medien auswählen, die wir tagtäglich lesen, hören oder sehen.

Laut Global Media Monitoring Project 2010 sind allerdings weltweit nur 24 Prozent der in den Medien gezeigten Personen Frauen (in der Schweiz sogar nur 22 Prozent). Zudem entscheiden die Medienschaffenden, wie Frauen in den Medien dargestellt werden: Als Hausfrauen? Erfolgreiche Politikerinnen? Wenn über Frauen berichtet wird, geht es oft um ihr Aussehen, auch bei starken Frauen in Machtpositionen. Wie oft wurde schon über das Dekolleté von Angela Merkel, die Frisur von Micheline Calmy-Rey öffentlich diskutiert? Wenn Frauen in den Medien zu Wort kommen, dann vielen Studien gemäss äusserst selten als Expertinnen oder Autoritätspersonen aus Politik oder Wirtschaft. In der Schweiz werden nur 34 Prozent der Nachrichten von Frauen produziert. Würde die Realität nicht besser abgebildet werden, wenn ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bestünde? Frauen lesen zudem viel weniger Zeitungen als Männer. Würde sich dies ändern, falls die Themen von weiblichen Medienschaffenden aufgemacht wären? Können es sich Medien in Zeiten sinkender Aufl agen und abfallender Werbeeinnahmen überhaupt noch leisten, die Hälfte der Bevölkerung zu ignorieren? Frauen bilden schon längst die grosse Mehrheit in Studiengängen wie Publizistik, Kommunikation und Journalismus. Wieso gehen sie dann auf dem Weg in die Chefetage verloren? In Europa ist nur ein Drittel der Führungspositionen in Medienunternehmen von Frauen besetzt. Und: Laut mehreren Studien verdienen Journalistinnen trotz besserer Ausbildung deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen.

Wir haben bei einigen Meinungsbildnerinnen und Ikonen der Medienbranche nachgefragt: bei Andrea Bleicher, ehemaliger Chefredakteurin des Blick, Karin Müller, scheidender Radio 24 Chefredakteurin, Lucy Küng, Professorin und Verwaltungsrätin der SRG SSR, sowie Katharina Borchert, CEO von Spiegel Online.

 


„FRAUEN SIND DAS VERGESSENE ZIELPUBLIKUM“

Andrea Bleicher machte mehr als einmal Schlagzeilen – und dies nicht nur in der Schweiz. Als sie im Februar 2013 nach einem Streit an der Führungsspitze des Boulevardblatts Blick in den Chefsessel „ad interim“ gehoben wurde, titelte der Tages-Anzeiger in seiner ersten Story über die erste weibliche Chefin beim Blick: „Jung, hartnäckig, fordernd“ (Tages-Anzeiger vom 8.2.13). Und mokierte sich über die fleissige Journalistin, gelernte Buchhändlerin, die ihre zwei Kinder beim Vater in Deutschland parkt, was auf der Homepage des Tages-Anzeigers für Dutzende böse Kommentare (von Frauen und Männern) sorgte. Einzig Silvia Tschui nahm die zweifache Mutter Andrea Bleicher in ihrem Post bei der Schweizer Illustrierten in Schutz (12.2.13). Dann der Artikel der NZZ am Sonntag, der den Wirtschaftspublizisten René Lüchinger als neuen Blick-Chefredaktor anpries und der eine bisher in der Schweiz einmalige Protestaktion der Blick-Mitarbeiter auslöste: Sie forderten Ringier CEO Marc Walder in einem öffentlichen Brief auf, Andrea Bleicher im Amt zu bestätigen. Dies sorgte sogar bei Spiegel Online für Schlagzeilen: „Meuterei beim Boulevardblatt Blick“. Danach gings Schlag auf Schlag. Lüchinger wurde von der Ringier-Führung als neuer Chefredaktor präsentiert, Andrea Bleicher zog die Konsequenzen und ging, was wieder zu einem Rauschen im Blätterwald führte. Nicht zuletzt auch wegen ihres TV-Auftritts bei Roger Schawinski im Schweizer Fernsehen Anfang September. Auch wir sahen das seltsam anmutende Spektakel und waren begeistert, wie ehrlich und mit welch ungeschminkter Offenheit die öffentlich brüskierte Andrea Bleicher bei Schawinski agierte und sich partout nicht aus der Reserve locken liess. Es gab keine Schlammschlacht mit Ringier oder gar dessen CEO Marc Walder. Kein wirklich böses Wort, sondern viel Selbstkritik. So fühlten wir uns inspiriert, diese Hauptreportage Frauen in den Medien, aber auch der Rolle der Frau in den Medien zu widmen. Und wir schätzten uns glücklich, dass uns die 39-jährige Andrea Bleicher nur kurz nach ihrem Weggang für ein Gespräch zur Verfügung stand, als noch nicht klar war, dass sie per 1.2.14 stv. Chefredaktorin der „Sonntagszeitung“ wird…

 

Ladies Drive: Wie geht es dir eigentlich, es ist ja recht viel passiert in den letzten sechs Monaten deines Lebens …
Andrea Bleicher: Mir geht es sehr gut. Ich fühle mich vor allem befreit.

Man hatte bei deinem TV-Auftritt direkt nach deinem Weggang das Gefühl, du hast wenig Lust zurückzublicken und dabei deine Wunden zu lecken … stimmt das?
Ja, ich glaube, das ist auch wichtig. Es geht ja immer weiter. Wenn etwas vorbei ist, ist es vorbei. Man muss nach vorne schauen und nicht zurück.

Denkst du, wärst du ein Mann gewesen, hätte es die gleichen Schlagzeilen gegeben, bei deiner Berufung wie bei deinem Weggang?
Nein. Dass Männer Chefredaktoren werden, ist ja völlig normal. Das interessiert ja schlussendlich niemanden und den Leser schon gar nicht. Ausserdem, wenn ein Mann mit fast 40 Jahren Chefredakteur wird, schreibt keiner, er sei “jung”. Und wie, wann und ob er sich um seine Kinder kümmert, ist niemandem eine Zeile wert. Oder dass man brav an seinen Schreibtisch zurückgeht, wenn man bei der Jobvergabe übergangen wird – diese Erwartung gibt es an Männer auch nicht.

Stimmt es denn, dass du mit 23 Jahren schon wusstest, dass du Chefredakteurin beim Blick werden wolltest? Auch dies wurde mal über dich geschrieben …
Ich wollte nicht zwingend Chefredakteurin beim Blick werden, aber ich wusste, dass ich Chefredakteurin werden wollte.

Das heisst, du hast sehr schnell einen Führungsanspruch entwickelt?
Ja, ich wusste, dass mich im Journalismus im Prinzip zwei Sachen interessieren. Entweder wollte ich Autorin sein – oder eine Führungsposition innehaben.

Hattest du auch Mentoren auf deinem Weg?
Es gab immer Menschen, die mir weitergeholfen haben. Das ist im Journalismus ganz wichtig. Man lernt sehr viel von anderen und deren Erfahrung. Ich hatte Glück – überall, wo ich war, egal ob bei Ringier, 20 Minuten, Metropol, der Sonntagszeitung, stets traf ich Menschen, die ihr Wissen mit mir teilten. Als ich beim Blick noch ganz jung als Journalistenschülerin tätig war, lernte ich zum Beispiel sehr viel von René Hanselmann, damaliger Auslandschef beim Blick. Von ihm profitierte ich unglaublich viel.

Hat dich der Journalismus schon immer fasziniert?
Ja. Ich habe schon mit zwölf Jahren gewusst, dass ich Journalistin werden wollte.

Gab es da ein spezielles Erlebnis?
Es gibt ein Schulaufsatz von mir, in welchem ich mein Leben mit 30 geschildert habe. Ich sah mich schon damals als Journalistin. Ich weiss aber nicht mehr, wie ich darauf kam.

Was ist sonst noch wahr geworden aus diesem Aufsatz?
In dem Aufsatz hatte ich einen Mann an meiner Seite, der sich auch um die Kinder kümmerte. Das trifft nun auch tatsächlich zu. Im Aufsatz war er allerdings Hausmann, im wahren Leben ist er das nicht (lacht).

Ich sehe, du strebtest schon früh eine moderne Rollenverteilung an im Sinne von „Ich werde Chefin und er Hausmann“. Super …
Ja (lacht). Ich habe ja drei Schwestern. Meine Eltern haben uns immer das Gefühl vermittelt, dass alles möglich ist. Ich hab nie gehört, dass ich etwas nicht kann, weil ich ein Mädchen bin. Unsere Eltern haben uns vier immer sehr viel zugetraut. Und das war ganz wichtig.

Was fasziniert dich denn eigentlich an deinem Job?
Es ist ein unglaublich interessanter Beruf, der einem viele Möglichkeiten eröffnet. Das Feld von Themen ist derart gross und vielfältig. Man kann unzählige Menschen kennenlernen, zu denen man normalerweise keinen Zugang hätte. Man ist sehr frei, was die Interessen anbelangt, man diskutiert viel mit Menschen – und jeder Tag bietet andere Geschichten und Herausforderungen. Routine existiert nicht.

Und wie war es, als du tatsächlich Chefin wurdest? – War es so, wie du es dir vorgestellt hattest?
Ja und nein. Man hat in manchen Gebieten endlich die Freiheit, die man angestrebt hat. Und in anderen gibt es Zwänge, von denen man gar nicht wusste, dass sie existieren. Was ich unterschätzt habe, ist, wie viele Menschen plötzlich Ansprüche an einen entwickeln. Und dass es Leute gibt, die glauben, einem ständig Tipps geben zu müssen, wie Frauen sich als Chefinnen zu verhalten haben. Bis hin zu der Beinlänge der Shorts, die man trägt. Lustigerweise waren das meistens Männer. Als ob die etwas von Shorts verstünden …

Was war die grösste Herausforderung für dich damals?
Dass man auch loslassen kann. Man muss Verantwortung abgeben. Man darf nicht mikro-managen. Man muss den Leuten vertrauen. Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass man alles selber machen oder kontrollieren muss.

Aber ganz so einfach ist das in der Praxis nicht … denn schlussendlich musst du den Kopf hinhalten.
Richtig. Aber man muss loslassen und vertrauen – sonst wirst du verrückt. In einem wirklich gut funktionierenden Team klappt das auch – man meint es im Grunde gut miteinander. Es gehört zu den zentralen Führungsaufgaben, ein Team aufzubauen, von dem man weiss, dass sich jeder auf den anderen verlassen kann.

Hast du das Gefühl, dass dir das gelungen ist als Blick-Chefredakteurin?
Ja.

Was kannst du besonders gut?
Ich kann Leute für etwas begeistern. Ich habe einen Plan, den ich ihnen auch vermitteln kann. Ich rede nicht um den heissen Brei. Ich stehe zu meiner Meinung. Und ich kann ein gutes und produktives Arbeitsklima schaffen.

Es hiess in einem der Artikel über dich, du fändest Alice Schwarzer cool. Bist du Feministin? Und wie passte das zum Blick und dessen publizistischer Ausrichtung?
Für mich ist Feministin kein Schimpfwort. Viele Zeitungen unterschätzen, dass die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind. Frauen sind das vergessene Zielpublikum. Frauen lesen und kaufen Zeitungen. In der Vergangenheit machte man den Fehler, dass sich die Männer überlegt haben, was Frauen gerne lesen wollen. Und dann kamen sie zum Schluss, dass Frauen Kochrezepte mögen. Oder etwas über Lippenstifte lesen. Das ist wirklich peinlich. Wenn man aber Frauen als Ressortleiterinnen einsetzt und sie die Themen bestimmen lässt, dann wird die Zielgruppe der Frauen automatisch adäquat berücksichtigt und angesprochen. Das ist sicher etwas, was man zu lange vernachlässigt hat. Vor allem im Zeitungsbereich. Im Zeitschriftenbereich ist es etwas besser.

Welche Themen fehlen denn deiner Ansicht nach?
Es braucht Debatten aus der Lebenswelt der Frauen. Aus allen Bereichen. Warum sollen wir männlichen Journalisten die Diskussion darüber überlassen, ob es richtig ist, dass eine schwangere Frau Konzernchefin wird? Sie waren ja noch nie schwanger – und Konzernchefin waren die meisten auch noch nie. Journalistinnen müssen sich zu Wort melden. Frauen haben Ideen, die Männer nicht haben. Sie erleben Dinge anders. Und andere Dinge. Das müssen sie auch in die Zeitung schreiben.

Gibt es so etwas wie einen weiblichen Boulevardjournalismus für dich?
Ja, natürlich! Es heisst ja immer, Frauen wären besonders emotional. Und Boulevard lebt von Emotionen. Frauen sind also prädestiniert dafür. Wenn man beispielsweise nach Deutschland schaut, gibt es da eine ganze Reihe von sehr erfolgreichen Frauen-Boulevardzeitschriften, wie Closer oder Grazia. Als Boulevardzeitung kann man von diesen Zeitschriften lernen, ihrem Zugang zu Themen. Und damit auch ein neues Zielpublikum erschliessen.

Wäre ein spannender Weg gewesen, schade, dass du den nicht weiterverfolgen kannst.
Ja. Aber ich bin ja nicht Verleger. Am Schluss muss der Verleger bestimmen, was er mit seiner Zeitung machen und wen er erreichen will. Das ist auch ganz okay so.

Wir haben ja vorher von Kindern und Karriere gesprochen, wie schaffst du das?
Wir haben ein Modell, das viele Leute aussergewöhnlich finden (lacht). Für mich war immer klar, dass ich Kinder und Karriere miteinander verbinden will. Ich wünschte mir für mich Selbstbestimmtheit, wollte nicht von jemandem abhängig sein. Um das zu erreichen, braucht man sein eigenes Geld. Als das erste Kind kam, hat mein Mann, gebürtiger Deutscher, Elternzeit genommen und konnte so das erste Jahr zu Hause sein. Später ging er beruflich zurück nach Deutschland, die Kinder waren bei mir und er pendelte am Wochenende. Als ich dann als Nachrichtenchefin zum Blick wechselte, beschlossen wir, dass die Kinder zu ihm nach Deutschland gehen, weil er seine Woche besser einteilen konnte als ich. Also war fortan ich diejenige, die pendelte. Wir haben das davon abhängig gemacht, wer seine Arbeitszeit flexibler gestalten konnte. Leute fragen mich immer wieder, wie ich das bloss mit den Kindern mache. Dann antworte ich: Die Kinder haben auch einen Vater. Das ist auch kein Armer, der sich um die Kinder kümmern muss und jeden Abend weint. Er macht das sehr gern und sehr gut. Bis anhin hat unser Modell bestens funktioniert. Wenn man so leben will, braucht man natürlich einen Partner, der dazu bereit ist und mitmacht. Aber den kann man sich ja suchen.

Hast du es unterschätzt, dass Stimmen kommen wie „das ist eine Rabenmutter, die schiebt die Kinder ab“ …?
Das habe ich nicht unterschätzt, diese Stimmen sind mir total egal.

Konntest du das wirklich gut abschütteln?
Ja, das kleinkarierte Geschwätz interessiert mich einfach nicht. Unser Modell muss genau für vier Leute stimmen. Für den Vater, die beiden Kinder und mich. Und den Rest der Welt geht das überhaupt nichts an.

Das ist schön, dass du das so selbstbewusst sagen kannst.
Nun, wir wollten beide arbeiten und haben uns entsprechend organisiert. Mir ist völlig klar, dass es kein herkömmliches Familienmodell ist. Es gibt viele Momente, wo ich gerne bei den Kindern wäre. Ich komme am Abend heim und die Kinder sind nicht da – das ist für mich auch traurig. Aber man spürt schnell, wie es den eigenen Kindern geht. Und man darf sich nie von anderen Leuten ein schlechtes Gewissen machen lassen, nur weil der eigene Weg unkonventionell ist. Niemand hat das Recht, einen zu verurteilen.

Das hätte mich auch gewundert. Ich habe dich als eine sehr starke Persönlichkeit wahrgenommen …
(Lacht) Man darf sich davon nicht über Gebühr beeindrucken lassen.

Wie sehr beeindruckten dich die Schlagzeilen über dich denn …?
Nun, ich weiss auch, was eine gute Geschichte ist – und das war eben eine. Es gibt sicher Leute, die denken: „Das geschieht der dummen Kuh ganz recht“, und andere denken anders. Das kümmert mich nicht. Für mich ist wichtig, dass ich viele tolle Momente beim Blick erleben durfte. Ich hatte eine gute Zeit, und ich hab eine Menge gelernt. Jetzt ist es vorbei – und ich mache etwas Neues.

Aber wie hakst du das ab?
Es war eine bewusste und für mich wichtige Entscheidung zu gehen. Ich bin jemand, der weiterkommen will. Stillstand ist nichts für mich. Deshalb war für mich schnell klar: Die Zeit beim Blick ist nun vorbei. Ich habe nicht das Gefühl, ich sei gescheitert. Ich sehe das nicht als Rückschlag für meine Karriere. Es tönt klischiert, aber ich sehe es als Chance, etwas anderes zu machen.

Du bist nicht der Typ, den man mit Geld locken kann?
Nein. Ich funktioniere anders. Ringier hat mir ein sehr grosszügiges Angebot gemacht, wenn ich bleibe. Ich habe überlegt – aber ich wollte mich nicht verkaufen. Ich brauche keine Prada-Tasche, um mich gut zu fühlen.

Und wie geht es weiter bei dir? Was hast du für Pläne?
Ich habe schon immer davon geträumt, ein paar Wochen durch die USA zu reisen. Das ist der nächste Punkt auf meiner Liste. Ich habe mir natürlich auch ein paar Gedanken gemacht, was ich in Zukunft beruflich machen will. Ich will mir Zeit nehmen, alles durchdenken, da es verschiedene Wege für mich gibt.

Nach deinem Auftritt bei Schawinski wurde spekuliert, dass du nach Deutschland gehst…
(Lacht) Ich muss wohl die Sendung noch mal schauen, um zu verstehen, wie man zu diesem Schluss kam.

Also, du hättest Jobangebote auf dem Tisch im Moment.
Ja.

Das tut doch gut, oder?
Ja, es zeigt, dass ich doch vieles richtig gemacht hat.

Inwiefern hat es dich getroffen, dass in der Kommunikation seitens Ringier dein Weggang damit begründet wurde, dass du publizistisch nicht überzeugen konntest. Hat dich das getroffen?
Ich finde, wenn man auseinandergeht, sollte man stets fair bleiben. Man kann noch so sehr unter Druck stehen, in Erklärungsnot, enttäuscht oder wütend sein. Wer nicht fair ist, hat verloren. Und ich weiss, dass diese Begründung, dieser eine Satz in einem Interview absoluter Blödsinn ist. Und Ringier weiss das auch. Aber ich bin mir auch im Klaren darüber, wie schnell man in einem Interview etwas sagt, was man nicht wirklich so meint. Manchmal fällt einem nicht auf jede Frage eine gescheite Antwort ein. Von dem her hake ich das ab unter „Sachen, die gesagt wurden, aber nicht so gemeint sind“.

Woher nimmst du deine Stärke?
Man muss sich mit vernünftigen Menschen umgeben. Im Job als auch privat. Es ist mir wichtig, Menschen um mich zu haben, die ehrlich sind, die einem nicht nach dem Mund reden. Freunde. Dann bleibt man auf dem Boden.

 


„ICH FINDE DAS SCHNELLE GEWINNEN LANGWEILIG“

Karin Müller, Radiolegende und eine der ganz wenigen Medienfrauen in der Führungsetage; Ausdauersportlerin und Regelbrecherin; Leader und Innovatorin. Im 48-minütigen Ladies Drive-Interview erfahren wir, warum die erfolgreiche Radio 24-Geschäftsführerin und Chefredaktorin zu neuen Ufern aufbricht, weshalb eine Vize-Miss-Schweiz viel stärker in den Medien vertreten ist als eine Unternehmerin des Jahres, und was Managerinnen von Moderatoren lernen können.

Das Timing unseres Interviewtermins ist speziell. Es ist Karin Müllers letzter Tag bei dem Sender, der in den letzten fünf Jahren ihr berufliches Zuhause, ihr Wirkungsfeld, ihre Bühne war. Sie seufzt: „Immer, wenn man einen Schritt weitergeht, lässt man etwas zurück.“ Die gefragte Radiofrau hat nicht gerne Abschiede, deshalb hält sie es wie die Spanier und sagt zum Abschied ¡Hasta mañana! – bis morgen – auch wenn es in dem Sinn kein morgen geben wird: Karin Müller bricht nämlich auf zu neuen Ufern, genauer gesagt an das Elbufer nach Dresden, wo sie ab Januar die Fäden von Hitradio RTL Sachsen sowie der sechs sächsischen Stadtsender ziehen wird. Ein Potenzial von vier Millionen Hörerinnen und Hörern, „so in der Grössenordnung der Deutschschweiz“, und ein Team von 140 Mitarbeitenden erwarten die Powerfrau aus Zürich im pulsierenden „Elbflorenz“.
Reich an Kultur und wirtschaftlich hochdynamisch – diese Eigenschaften treffen nicht nur auf Karin Müllers neues Sendegebiet, sondern auch auf sie selbst zu. 25 Jahre Medienerfahrung, davon mehr als die Hälfte in Führungspositionen, in welchen sie als Innovatorin mit ihrem Qualitätsbewusstsein viel bewegte und erneuerte. Doch wie erlebt die Geschäftsführerin und Moderatorin selbst die männerdominierte Radiowelt? „Ob man will oder nicht – man fällt als Frau immer auf. Das hat auch seine guten Seiten. Man muss sich nicht vorstellen – man ist schon vorgestellt, wenn man einen Raum betritt. Die Aufmerksamkeit ist sicher zumindest am Anfang höher. Dann geht es allerdings sehr schnell um Managementthemen. Stemmt man die Aufgaben und hat zur richtigen Zeit die passende Lösung? Hat man ein Produkt oder einen Titel strategisch erfolgreich positioniert? Das sind Skills, die man mitbringen muss, unabhängig davon, ob man ein Mann oder eine Frau ist“, so Karin Müller. Sie gilt als Ausnahmeerscheinung mit einer beispiellosen Karriere, wird mit recht männlichen Attributen wie „Ironlady“ und „Saniererin“ geschmückt. Wie fühlen sich diese Titel an? „Ich betreibe gerne Ausdauersportarten. Ich bin hartnäckig und habe sehr viel Energie auf einer langen Strecke. Auch im Sport bin ich schlecht im Sprint – ich finde dieses schnelle Gewinnen langweilig. Viel spannender ist es, Ziele über eine längere Strecke zu erreichen. Wenn eine Frau sich nicht abschütteln lässt oder über lange Zeit am Ball bleibt, dann fällt das auf. Wir befinden uns mit den Medien heute konstant in einem Change-Prozess. Man kann nicht davon ausgehen, dass alles bleibt, wie es ist, sondern muss davon ausgehen, dass sich alles permanent verändert. Und da muss man haushalten mit seinen Mitteln, muss sparen und auch unangenehme Entscheide fällen. Das habe ich nie als männliche oder weibliche Aufgabe identifiziert, sondern als Entscheidung, die zu einer Strategie passt und ein Unternehmen weiterhin erfolgreich erhält“, so die Geschäftsfrau.

Was Manager von Moderatoren lernen können
Drei Leitsätze aus der Moderation haben auch die Managerin Karin Müller stets begleitet: „Be true to your character! Ich bin auch als Führungskraft meinem Wesen immer treu geblieben. Ich habe mir nicht überlegt, ob das Tragen eines Foulards von Vorteil ist für meine Chefposition, auch wenn mir ein Management-Coach dazu geraten hat. Ich habe aus dem Wissen, aus den Erfahrungen aus meinen Ausbildungen meinen eigenen Führungsstil gebaut und weiterentwickelt. Man ist wie man ist. Das ist authentisch und hat Effekt.“ Ihr zweiter Leitsatz aus der Moderation lautet: „Die nächste Moderation ist die beste Moderation. Nehmen wir mal an, eine Moderation geht wirklich bachab. Dann wirft man sie wie ein Blatt Papier, das man vorher zerknüllt hat, über die Schulter und konzentriert sich auf die nächste Moderation, die die beste Moderation wird“, so das Multitalent, das auch in Sachen Mut Expertin ist: „Die Karriere verläuft im Portfolio, man sammelt links und rechts am Wegrand, und irgendwann sieht das so aus, als sei alles geplant gewesen. Ich habe immer wieder Dinge riskiert, aber ich habe ein klares Ziel und eine Vision, die ich verfolge. Dieses Bild treibt mich ungemein an.“ Dabei hat es sich Karin Müller nicht immer leicht gemacht: Während ihre Kollegen den Feierabend genossen, absolvierte sie neben dem Job ein Phil-I-Studium bis zum Bachelor und zwei Fachhochschulstudien für Wirtschaft und Kommunikation. „Ich habe ein Talent, habe spezielle Radiosendungen gemacht, konnte meinen Namen als Brand lancieren. Doch das war nicht alles.

Ich wollte mich weiterentwickeln, ein Team führen, mehr Verantwortung tragen, strategische Entscheide fällen. Die Leute haben mich gefragt, wozu ich mir diese Doppelbelastung antue, aber ich wollte wissen, wie die Wirtschaftskommunikation funktioniert, wollte eine Bilanz von Nestlé lesen können.“ Das Thema Leadership ist für Karin Müller eine Frage der Werte: „Teams zu führen bedeutet für mich klare Ansagen, genügend Freiraum und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Klare Ziele zu formulieren und im Januar zu kommunizieren, wo man im Dezember sein will. Diese Ziele auf einzelne Teilstrecken zu dosieren, damit sich alle diesen Erfolg teilen können. Und – ganz wichtig – die Mitarbeiter zu beteiligen. Damit meine ich nicht nur finanzielle Beteiligung, sondern auch das Herstellen der Inhalte, denn nur so lebt das Produkt und verändert sich, wie sich auch unsere Hörerschaft die ganze Zeit verändert.“ Karin Müller bezieht nicht nur ihre Mitarbeiter mit ein, sondern auch ihre Hörer, und prägte damit den Begriff „Social Radio“ in der Schweiz. „Es ist heute ein Fehler, die Redaktoren in ihren Redaktionsstuben Artikel schreiben zu lassen und zu denken, das muss gelesen werden. Das stimmt nicht mehr. Mediennutzer möchten gerne ihre Themen mit einbringen. Oder zu denken, man druckt eine Zeitung, und die muss dann gekauft werden – auch falsch. Die Frage lautet: Wo sind die Nutzer für gewisse Inhalte und wie bringt man die Inhalte dorthin – und manchmal muss man das Geld ganz woanders verdienen.“

Regeln brechen und Berge versetzen
Radio 24 ging 1979 als Piratensender an den Start – und auch Karin Müller gilt als Piratin im Sinne einer Querdenkerin und Regelbrecherin: „Ich trage keine Augenklappe, die grosse Revolution Radio ist vorbei. Wir müssen darauf achten, dass wir nicht von anderen Revolutionen oder Piraten geentert werden, und mit steter Weiterentwicklung vorne mit dabei bleiben.“ So hat sie beispielsweise zuletzt eine Bühne im neuen Studio bauen lassen, wo der Sender mit Grössen wie Maria Mena oder Olly Murs Events und eigene Inhalte herstellt. All das war nicht vorgesehen, macht aber den Erfolg aus: „Erfolg ist dieses Prickeln, wenn 24 Leute an etwas gearbeitet haben und dann glückt es zu 124 Prozent – das ist ein gigantisches Gefühl – zusammen kann man Berge versetzen und ‚geht nicht gibt’s nicht’!“ Auch Frauen aus dem Underground wie Beth Ditto, Madonna oder Lady Gaga inspirieren Karin Müller. „Das sind Menschen, die von einer Idee so wahnsinnig beseelt sind und sie weiterverfolgen, auch wenn alle sagen ‚das geht nicht’. Was uns prägt, sind aussergewöhnliche Menschen, die etwas Freakiges haben – dort sehe ich oft Parallelen.“ Sie erzählt, dass sie früher für ihre tiefe Stimme ausgelacht wurde – heute ist sie ihr Markenzeichen. „Die vermeintliche Schwäche wurde zur Stärke.“ Und sie sagt, dass sie immer Dinge gemacht habe, von denen alle gesagt haben „das schaffst du nicht“ – seien es ihre Ausbildungen neben dem Fulltimejob, sei es die Vermieterin ihrer Studentenwohnung, die dereinst meinte: „Mit so einem Namen kommen Sie nie zum Radio – Karin Müller!“ Tja, so kann man sich täuschen …

Das Frauenbild in den Medien
Karin Müller hat sich immer stark eingemischt, wenn ihre Moderatoren beispielsweise bei Berichten zu Angela Merkel über deren Äusseres einsteigen wollten. Geschichten unter der Gürtellinie, sexistische oder rassistische Sprüche kommen für die Geschäftsfrau genauso wenig in Frage wie Expertenteams, die sich nur aus Männern zusammensetzen. „Das spiegelt schlicht unsere Hörerschaft nicht wider!“ Sie ist sich dessen bewusst, dass es in der Geschäftswelt kaum ideale, harmonische und gerechte Situationen gibt. „Ich möchte etwas prägen und bewegen. Da gibt es immer Reibung und Reibungsverluste. Die gilt es auszuhalten.“ Auf die Frage, warum es jede Vize-Miss-Schweiz schneller in die Medien schafft als eine Unternehmerin des Jahres, gibt es für Karin Müller nicht nur eine Antwort. „Ich empfinde die Schweiz als drei bis fünf Jahre hinterher hinkend in der Rezeption von Managerinnen.“ Auch hat die passionierte Führungspersönlichkeit viel Zeit in die Pflege ihres Netzwerks investiert, nach dem Motto: „Nicht dann, wenn’s brennt, sondern man muss sich schon davor zeigen, wenn es noch kein Thema gibt“. Auch ein gewisses Selbst-Marketing gehört für sie dazu. „Je mehr Bilder von Managerinnen erhältlich sind, desto mehr Vorbilder gibt es für junge Frauen, die in ihre Fussstapfen treten können – deshalb keep on!“ – und mit diesem dritten Leitsatz aus der Moderation schliesst die Radiolegende ihr Abschiedsinterview.

Karin Müller, 48, war von April 2008 bis Oktober 2013 Chefredaktorin und Geschäftsführerin von Radio 24, Zürich. Das erste und meistgenutzte Privatradio der Schweiz wurde von Müller modernisiert und zu einem Reichweiten-Hoch geführt. National bekannt wurde Karin Müller als Moderatorin der Morgensendung von DRS3 (heute SRF3) und als Schweizer Moderatorin von 3sat „Kulturzeit“. Weitere Stationen waren: Programmleiterin bei Radio Pilatus, Luzern; in der Programmleitung DRS3, Zürich; Morgenmoderatorin DRS1, Zürich; Moderatorin Radio Basilisk, Basel. Karin Müller ist seit 25 Jahren in den Medien tätig und mit dem Prix Suisse in Bern und einer „special recommendation“ am Prix Europa in Berlin ausgezeichnet. Im Januar 2014 startet sie in Dresden als Programmdirektorin von Hitradio RTL und sechs sächsischen Lokalradios durch.

 


„DIE MEDIEN HABEN SICH SCHNELL WIE NIE ZUVOR VERÄNDERT!“

Wenn man bei der Recherche nach Lucy Küng mal Google konsultiert, findet man ihre eigene Homepage, jene der SRG SSR, wo die renommierte Professorin für Medienökonomie und -management seit 2008 im Verwaltungsrat ist, dann eine Menge ihrer Bücher, die über Amazon zu bestellen sind, oder Fachkonferenzen, die sich mit ihrem Namen schmücken. Pressegeschichten und Interviews? – Eher selten. Wie kann es sein, dass eine so intelligente und smarte Frau, die an der HSG und der Universität Jönköping in Schweden lehrt oder am Reuters Institute for the Study of Journalism der Oxford Universität doziert und forscht, nicht häufiger in den Medien anzutreffen ist? Wir gehen dieser Frage mit Lucy Küng gemeinsam nach, ebenso der Forderung nach einer Quote in den Medien, die der Präsident der SRG SSR und Präsident des Verwaltungsrates Raymond Loretan gleich selbst in die öffentliche Diskussion eingebracht hat.

Ladies Drive: Frau Küng, wenn wir nun erst mal etwas zurückblicken in Ihrer Karriere. Welches war die wichtigste Entscheidung für Ihren weiteren Weg?
Lucy Küng: Ich denke, es war der Zeitpunkt, wo ich mich dagegen entschiede habe, Jura zu studieren – und dafür die Verlagsbranche zu meinem Ziel erklärte. Hamlets Polonius sagt: „To Thine own self be true“. Eigentlich ist das ein exzellenter Karriererat. Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: Ich war immer fasziniert von Büchern. Und als ich später in den Reihen eines Buchverlags arbeitete, wurde ich immer neugieriger, wie diese Industrie funktioniert – und wie die Geschäfte noch besser laufen könnten. Ich konnte schnell wachsen in dieser Branche, übernahm publizistische und unternehmerische Verantwortung. Und je mehr Fehler ich machte, desto mehr wusste ich und umso bessere Entscheidungen traf ich später. Und je besser die Entscheidungen, desto grösser der Erfolg.

Und was fasziniert Sie noch immer an dieser Branche?
Oh, ich bin fasziniert von Medienprodukten – weshalb manche erfolgreich sind, andere nicht, von den Inhalten, was sie über die Gesellschaft und die Menschen aussagen. Ich versuche mir aber immer auch genügend Zeit zu nehmen, jene Bücher zu lesen, die es auf eine Shortlist für die grossen Literaturpreise geschafft haben. Und ich verfolge bewusst gewisse grosse Newsstories über verschiedene Medien hinweg. Die Onlinemedien machen es uns hier auch etwas leichter als früher. Mich fasziniert aber auch die Struktur von kreativen Organisationen und wie sie „ticken“. Vor allem, wenn man sich überlegt, welch grossen Veränderungen die Medienlandschaft derzeit unterworfen ist. Ich habe die disruptiven Revolutionen im digitalen Bereich genau mitverfolgt. Überlegen Sie mal, welche Veränderungen der Onlinebereich für die Musikbranche mit sich brachte, für die Bücher – und nun auch die Tageszeitungen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her beschäftige ich mich derweil mit Strategie und Innovation. Mich interessieren dabei insbesondere auch blockierende Faktoren, die Innovation und neue Ideen innerhalb der Organisationen hemmen oder verhindern – oder die ein Unternehmen davon abhalten, sich schnell genug einem immer schneller werdenden Markt anzupassen. Ich stelle hier fest, dass viele Unternehmen die Lehren aus den letzten zwei Dekaden nicht oder nicht ausreichend gezogen haben.

Sie haben ja, soweit ich weiss, beispielsweise auch die BBC genauer unter die Lupe genommen…?
Ja, genau. Man lud mich ein zu erklären und herauszufinden, was die Erfolgsfaktoren des Unternehmens waren. Denn abgesehen von der Tradition und der enormen Komplexität innerhalb der BBC hat es dieses Unternehmen geschafft, mit den neuen Technologien mitzuhalten und noch immer erfolgreich auf dem Markt zu agieren. Ich habe beispielsweise auch Pixar untersucht, wie man solide Strukturen schafft, um Produkte zu kreieren, die auf dem internationalen Markt bestehen können. Und ich muss sagen: Die „digital economy“ birgt massive Opportunitäten – stellt aber auch eine Bedrohung dar. Ich würde mir wünschen, mehr etablierte Medienorganisationen würden dies beherzigen. Derzeit haben die ‚Market Leaders’ vielerorts den Markt den ‚Digital Disrupters’ wie Amazon, Google, Netflix und The Huffington Post überlassen. Es wäre schade, wenn wir die klassischen Massenmedien einmal auf einem Niveau hätten wie heute die Oper: höchst anerkannt, aber nur von einer kleinen, elitären Gruppe genutzt.

Die Rolle der Frau hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Geben die Medien diese Veränderung eigentlich adäquat wider? Und wieso sind gemäss dem Global Media Monitoring Project noch immer weniger Frauen in den Medien repräsentiert, und wenn, dann primär als Schauspielerinnen und kaum als Unternehmerinnen?
Das sind wirklich grosse, wichtige und komplizierte Fragen. Und es gibt darauf wohl keine direkte und einfache Antwort. Weil die Medien so divers sind und die verschiedenen Bereiche sich aktuell so schnell wie nie zuvor verändern. Die Diskussion darüber ist ohnehin von zahlreichen polemischen und stereotypen Aussagen charakterisiert. Zuerst müssen wir etwas unterscheiden, und zwar die Rolle der Frauen innerhalb von Medienorganisationen und das Bild der Frauen, wie sie in den Medien portraitiert und damit dargestellt werden. Ich denke, die Frage nach der Rolle der Frauen als Mitarbeiterinnen und Journalistinnen ist die kritischere aus meiner Sicht.

Inwiefern ist dies so?
Zuerst müssen wir unterschiedliche Rollen von Frauen innerhalb von Medienorganisationen unterscheiden. Es gibt hier immer wieder einige prominente Beispiele, vor allem auf Geschäftsleitungsstufe – wie etwa Marjorie Scardino bei Pearson, Helen Alexander beim Economist oder Ingrid Deltenre bei SF. Und beim Herstellungsprozess von Medien ist es nicht nur eine Frage, wie viele und wie oft Frauen darin dargestellt werden, sondern auch, wie sie erscheinen. Gerade die BBC wurde kürzlich heftig kritisiert, weil sie kaum ältere Moderatorinnen hat – und es gäbe auch viel zu wenig Frauen in ‚Hard News’-Sendungen. Die neue Führung der BBC widmet sich dem aktuell – teilweise auch aufgrund des grossen Drucks der Öffentlichkeit. Wenn wir uns also der Darstellung von Frauen in den Medien annehmen, ist es schwierig, klare Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die Problematik sich in den verschiedenen Mediensektoren so unterschiedlich darstellt. In der Wirtschaftspresse sehe ich persönlich Frauen adäquat, seriös und professionell repräsentiert. Diversity ist nun ja auch in aller Munde – kein Wunder wird das Thema auch in diesen Medien immer häufiger bearbeitet. Und: Die Leser sind interessiert zu erfahren, wie Managerinnen „ticken”. Indessen entwickelt sich beispielsweise die Musikindustrie derzeit gerade rückwärts – alles wird hypersexualisiert, vor allem die jungen weiblichen Künstlerinnen. Das provokative Video von Miley Cyrus ist aktuell ein Beispiel hierfür. Geht es dann wiederum um fiktionale Inhalte, Serien und Filme, ist in den USA derzeit durchaus ein Trend erkennbar, eine steigende Anzahl von weiblichen Wirtschaftsführerinnen und Managerinnen zu zeigen – insbesondere weil man sich erhofft, damit auch jüngere Zuschauerinnen zu begeistern. Allerdings scheinen eben diese Frauen nicht als Rollenvorbild einer ‚multi-tasking’-Geschäftsfrau und -Mutter herhalten zu können und werden unglaublich glamourös dargestellt. Die aus meiner Sicht spannendste und auch authentische Darstellung weiblicher Charaktere findet man übrigens derzeit in skandinavischen Thrillern, die die Rollen der Geschlechter in der Gesellschaft zu reflektieren vermögen. Ich arbeite ja viel in Skandinavien und mich fasziniert immer wieder, wie viele männliche Topmanager hier Meetings verpassen, weil sie ihre Kinder in der Krippe abholen müssen. Oder weil sie von zu Hause aus arbeiten – oder ein krankes Kind hüten. In Skandinavien braucht es hierfür keine Entschuldigung oder Erklärung – dass auch Väter sich um kranke Kinder kümmern, ist akzeptiert.

Und wie sieht es Ihrer Meinung nach in der Werbung aus?
Hier ist die Darstellung konservativer, was ich im Übrigen nie wirklich verstanden habe. Werbetreibende müssen doch langsam bemerkt haben, dass die Rolle der Frau sich verändert hat – und man möchte den Markt für sein Produkt oder seine Dienstleistung doch nicht künstlich kleiner halten, sondern im Gegenteil diesen so gross wie möglich werden lassen. Im Übrigen möchte ich anfügen, dass die Onlinemedien auf junge Frauen zunehmend mehr Einfluss ausüben als die klassischen Massenmedien, und die Darstellung von Frauen ist alarmierend. Was kritisch zu beobachten ist: Obwohl Online-Firmen wie Facebook, Google und Twitter mehr mit ‚klassischem’ Medieninhalt zu tun haben, sind sie ganz anders – und viel leichter – reguliert.
Vor Kurzem entschied Facebook, Videos von Enthauptungen zu zeigen. Durch öffentlichen Druck hat Facebook die Entscheidung rückgängig gemacht, aber eigentlich hat Facebook keine Vorschriften verletzt. Das müssen wir definitiv aus regulatorischer Sicht im Auge behalten. Ich finde in dieser Diskussion aber noch ein anderes Thema sehr spannend…

Nämlich …?
Natürlich ist es wichtig, dass Geschlecht einen Aspekt der Diversität in unserer Gesellschaft darstellt und wir darüber sprechen. Und selbstverständlich ist Chancengleichheit selbst ein zentrales Moment für eine gut funktionierende Gesellschaft. Aber: Es gibt auch grosse wirtschaftliche Aspekte und Argumente, die in den Medien meines Erachtens noch viel zu kurz kommen. Es wäre wünschenswert, man würde sich auch auf solche Themen auf breiterer Front einlassen. Diversität bringt nämlich einen Wettbewerbsvorteil mit sich. Diversity ist auch wichtig für Innovation, und diese wiederum für nachhaltigen Geschäftserfolg und Wettbewerbsfähigkeit.

UND JE MEHR FEHLER ICH MACHTE, DESTO MEHR WUSSTE ICH UND UMSO BESSERE ENTSCHEIDUNGEN TRAF ICH SPÄTER. UND JE BESSER DIE ENTSCHEIDUNGEN, DESTO GRÖSSER DER ERFOLG.
– Lucy Küng

Denken Sie, es fehlt an weiblichen Rollenvorbildern? Wie ist das für Sie? Hatten Sie weibliche Rollenvorbilder/Idole auf Ihrem Berufsweg?
Ich selbst hab vermutlich mehr von meinen Mentoren als von Rollenvorbildern in den Medien profitiert. Ich hatte einige wundervolle Mentoren auf meinem Weg. Aber ich erinnere mich nicht an Vorbilder, die ich als junge Frau gehabt hätte. Mich haben verschiedene Individuen unabhängig von ihrem Geschlecht inspiriert – ich hab sie beobachtet und versucht zu analysieren, wie sie ihre Herausforderungen bewältigt haben, und davon habe ich gelernt. Was mich indessen stark beeinflusst hat, war der Fakt, dass ich in eine reine Mädchenschule ging und später beruflich eher in einer „Frauendomäne” tätig wurde. Deshalb sind mir Themen wie Geschlechterunterschiede selten begegnet und schon gar nicht negativ. Ich weiss, es ist vermutlich eine sehr altmodische Haltung – aber ich bin ein grosser Fan von „single sex education”, also beispielsweise Mädchenschulen. Es gibt unzählige Evidenzen, dass solche Mädchen ganz andere und viel ambitioniertere Karriereentscheidungen fällen.

Wir waren in der Schweiz das erste Businessmagazin für Frauen, welches erfolgreich war. Wundert es Sie, dass es ein kleiner Verlag ist, der „Ladies Drive“ lanciert hat, und kein Grossverlag wie Ringier, NZZ oder Tages-Anzeiger?
Nun, das ist für mich nicht wirklich eine Überraschung! Im aktuellen Marktklima kommt Innovation in den Medien aus jüngeren Organisationen heraus, speziell von Start-ups.

Werden die grossen Medienunternehmen überleben?
Diese Frage ist unmöglich mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Es ist abhängig vom Sektor und davon, was Sie als „gross” definieren. Die Medientransformation beschäftigt Medienunternehmen mit langer Geschichte natürlich in viel stärkerem Masse.
Es gibt nur wenig Beispiele, international gesehen, von Medien, die vor der digitalen Revolution Marktleader waren und es noch heute sind. So konnten neue Player schnell wachsen – es war ja genug Raum dazu da, und das trifft auch auf die Swiss Ladies Drive GmbH zu. Ob grosse Medienhäuser überleben oder nicht, ist davon abhängig, wie agil sie sind, inwieweit sie die Wachstumsregeln im Markt dekodieren können, wie clever ihre Strategie ist, und vor allem: Ob sie sich schnell genug bewegen können.

Wie bringt man mehr Frauen in hohe Positionen in den grossen Medienunternehmen?
Nun, um erfolgreich zu sein, braucht es die richtigen Kompetenzen und Erfahrungen. Die derzeitige Revolution, welche die Medien erleben, bedeutet, dass sich auch die Profile der Führungskräfte verändern – und das eröffnet mit Sicherheit vielen ambitionierten Frauen neue Chancen und Möglichkeiten. Künftige Leader in den Medien werden vor allem drei Talente benötigen: inhaltliche Expertise, Business Know-how und Technologieverständnis. Letzteres wird ein zentraler Punkt in der weiteren Entwicklung sein. Ich rate daher allen aufstrebenden Frauen, sich nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch ständig fortzubilden und dranzubleiben – man muss nicht wissen, wie man Codes schreibt, aber man muss wissen, wie die Technologie die Industrie prägt und die Organisationsstruktur beeinflusst.
Und welchen Herausforderungen begegnen Sie im Verwaltungsrat der SRG SSR aktuell?
Ein wesentliches Merkmal eines guten Verwaltungsrates ist die Fähigkeit, gemeinsam kritische und auch umstrittene Themen fundiert miteinander zu diskutieren und Lösungen zu finden. Dazu braucht es absolute Vertraulichkeit. Deshalb möchte ich Ihnen keine spezifische Herausforderung nennen, ich kann Ihnen aber versichern, dass die zwei Frauen von neun Mitgliedern Gehör finden …, obwohl wir untervertreten sind. Der VR ist sich dessen bewusst und arbeitet daran.

Was könnte eine Frauenquote in den Medien bewirken?
Auch ein kompliziertes Thema. Zuerst muss zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung unterschieden werden. Das Thema Quoten betrifft meistens die Verwaltungsratsebene. Zum Beispiel hat das Europäische Parlament den Vorschlag gutgeheissen, dass bis 2020 40 % der Verwaltungsräte Frauen sein müssen. In Norwegen wurde 2004 eine Quote von 40 % für börsenkotierte Unternehmen eingeführt. Obwohl die Massnahme zuerst umstritten war, ist sie nun weitgehend akzeptiert und hat zu Verbesserungen in der Entscheidungsqualität und in der Leistung geführt.
Persönlich empfinde ich Quoten als einen starken Eingriff, aber wahrscheinlich ist das die einzige Massnahme, die wirklich greift. Doch Quoten sind nur ein Teil der Lösung. Es gibt eine hochinteressante Diskrepanz zwischen der Anzahl an Frauen, die an der Universität studieren (die Mehrheit), und der Anzahl an Frauen in Führungspositionen (eine bedeutende Minderheit). Der Grund dafür liegt wohl hauptsächlich in der Schwierigkeit, Familie und Beruf zu vereinen. Eine Lösung, die ich bei Medienfirmen im Ausland gesehen habe, ist, darauf zu achten, dass talentierte Managerinnen in der Organisation bleiben, auch wenn sie temporär eine etwas reduzierte Rolle einnehmen müssen (vielleicht durch Job-Sharing). Sobald der Druck nachgelassen hat, können sie wieder mehr Verantwortung übernehmen. Dadurch wird sichergestellt, dass sich ihre Kompetenzen und ihr Netzwerk ähnlich wie bei ihren männlichen Kollegen entwickeln. Das wird in der Medienbranche sehr wichtig, da sich das strategische Umfeld sehr rasch ändert.

 

Weiterführende Informationen: www.lucykueng.com

 


„DIE MEDIENBRANCHE IST EINE MÄNNERDOMÄNE!“

Auch bei Katharina Borchert wundert uns, wie vergleichsweise wenig mediale Aufmerksamkeit der schönen und smarten 41-jährigen Spiegel Online CEO zuteil wird. Nun, gut für uns! Wir stellen Ihnen die feinfühlige Geschäftsführerin des deutschen Leitmediums schlechthin mehr als gerne näher vor. Ähnlich wie Andrea Bleicher schlummerte auch in Katharina Borchert schon früh eine Faszination für die schreibende Zunft. Obwohl sie auch gerne Tierärztin geworden wäre.

Also brachte sie beides zusammen, kreierte als Kind eine eigene Zeitung, verkaufte diese in der Nachbarschaft und kaufte mit dem erwirtschafteten Geld Tierfutter für streunende Hunde und Katzen. Veterinärmedizin wurde es dann doch nicht, zu stark war der natürlich erscheinende Drang zum Schreiben und Publizieren.

„Von der Bloggerin zum Spiegel-Online-Chef“ titelten deutsche Medien, als sie 2010 in das Amt berufen wurde. Doch, wie fast immer, steckt auch hinter so leichtfüssig erscheinenden Karrieren eine Menge Passion, Hingabe, Entbehrungen, Talent und Arbeit. So war es auch in diesem Fall. Die Tochter des CDU-Bundesministers Jochen Borchert wuchs in einem Umfeld auf, welches ihr perfekte Entfaltungsmöglichkeiten für eine grossartige Karriere bot. Die 41-Jährige nutzte ihre Chancen dabei stets überlegt und konsequent. 2011 wurde sie vom World Economic Forum in Davos zum Young Global Leader ernannt und schaffte es damit in einen erlauchten und erlesenen Kreis junger Führungskräfte, die ihr Potenzial noch längst nicht zur Gänze entfaltet haben. Katharina Borchert verrät uns, weshalb sie eine zeitlich limitierte Frauenquote durchaus für sinnvoll erachtet – und wie sich weiblicher von männlichem Journalismus unterscheidet.

Ladies Drive: Frau Borchert, wie dürfen wir uns Ihren Weg in den Journalismus vorstellen?
Katharina Borchert: Ach, das war alles andere als geplant, wobei ich immer viel geschrieben habe – ich verantwortete die Abi-Zeitschrift, in den USA engagierte ich mich während meines Auslandsjahrs bei der Schülerzeitschrift – die Verbindung mit Medien war immer da. Nach dem Abi ging ich nach Afrika, um da zu arbeiten. Später studierte ich Jura und Journalistik, wobei mir Journalistik zu theoretisch, zu verkopft vorkam – also konzentrierte ich mich erst mal auf Jura, war bei der UNO, aber irgendwie konnte ich die Finger nicht so recht vom Schreiben lassen. 1996/97 hab ich angefangen, für das damals allererste Printmagazin, welches sich ausschliesslich thematisch dem Internet zuwandte, zu schreiben. Erst war ich Textchefin, dann Chefredakteurin. So bin ich also doch bei den Medien gelandet.

Wie ging Ihre Medienkarriere weiter?
Als dieser besagte Printtitel verkauft wurde, hab ich mich am Internetradio versucht, das war 1998. Doch das nahm ein jähes Ende, als die New Economy generell ein dramatisches Ende nahm. So arbeitete ich lange als Freie – hab im Internet gelebt und im Print darüber geschrieben. Aber weniger über den Technikfaktor, sondern immer eher über Themen wie: Was macht Technologie mit dem Menschen im Zusammenleben, mit uns als Gesellschaft. Das hat mich umgetrieben. 2002 startete ich einen Blog und liebte diese eigene Mini-Publikationsplattform und die Möglichkeit, im übertragenen Sinne „das Internet vollschreiben“ zu können. Heute komme ich einfach nicht mehr dazu – mein Blog „Lyssas Lounge“ liegt seit Jahren leider brach. Erstaunlicherweise war das einer der wichtigsten Faktoren für meine Karriere. Damals war das Publizieren übers Internet eine Randgruppensportart, fast unanständig, interessierte lange keinen. Der Stern war, glaube ich, dann das erste Massenmedium, welches begann, darüber auf breiter Front zu berichten. Tja, und ich war die erste Bloggerin, eine Frau – und deshalb wurde ich immer häufiger interviewt und in den Medien als Expertin rumgereicht. Ein spannender Mechanismus übrigens. Das tat der Karriere gut! Dann bin ich gefragt worden, für eine Regionalzeitung in Nordrhein-Westfalen ein Konzept zu entwickeln. Als ich es den Verantwortlichen vorstellte, bot man mir an, das gemeinsam mit ihnen nun auch verantwortlich umzusetzen. Handeln statt reden. Ich zog also von Hamburg nach Essen – von der Freiberuflerin zur Chefredakteurin bei der WAZ Mediengruppe. Und ich muss sagen: Ich hatte eine ganz grossartige Zeit mit vielen Freiheiten, den Onlinebereich komplett umzukrempeln und alles neu zu machen. Wir haben eine neue Marke entwickelt, Konzepte für digitalen Lokaljournalismus und Leserbindung erarbeitet, die Firma umstrukturiert, neue Leute eingestellt und dies über eineinhalb Jahre, was mir zusätzlich die Position der Geschäftsführerin einbrachte – nebst Redaktionellem hab ich die andere Seite des Geschäfts kennengelernt und mich vermehrt in den strategischen Fokus begeben: Wie entwickeln sich Medien und der Journalismus weiter, was sind die Rahmenbedingungen im Onlinebereich, wie muss man agieren? Irgendwann, nach fast vier Jahren, rief der Spiegel bei mir an und bot mir einen Job an. Da kann man schlecht nein sagen.

Und wie fühlte sich das an, wenn der Spiegel bei einem anruft und einem solch ein Angebot unterbreitet?
Ich war im Auto – ich bin fast in eine Baustellenabsperrung gefahren (lacht)! Damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn man im Onlinebereich arbeitet, ist das die höchste Liga. Da wo man hin möchte. Spiegel Online war und ist nicht nur Marktführer von der Reichweite und den Wirtschaftsbedingungen her, sondern viel wichtiger: Journalistisch ist das eine unglaublich tolle und starke Marke, wo das Redaktionelle und die journalistischen Werte hochgehalten werden und im Vordergrund stehen.

Hatten Sie keinen Kulturschock? Sie waren doch zuvor sehr unabhängig und frei…
Der kommt ja meist später, weil sich die Unterschiede im Detail offenbaren. Wie etwa, dass Dinge ganz anders gemacht wurden, als ich mir das vorgestellt hatte. Auf manchen Gebieten wird auch beim Spiegel nur mit Wasser gekocht. Aber der Spiegel, das Sturmgeschütz der Demokratie! Das ist schon einschüchternd zu Beginn. Ich hab eine Weile gebraucht, um zu meinem alten Selbst zurückzufinden und zu meinem Selbstvertrauen. Man braucht Allianzen, sein Netzwerk bei einem neuen Arbeitgeber – das ist ja überall so, das braucht eine Weile.

Was haben Sie getan, um Sicherheit zu gewinnen?
Erst mal gar nichts (lacht)! Spiegel Online war ja schon bei meinem Amtsantritt in einer guten Position. Ich konnte ein bestehendes, gut laufendes Geschäft übernehmen und gucken, wo man noch innovativer werden kann, was im Operativen verbessert werden kann. Ich hatte kein 100-Tage-Programm und bin erst recht nicht breitbeinig aufgetreten – viele Lehrbücher predigen das ja. Das mag in anderen Ausgangssituationen richtig sein, wo man viel in kurzer Zeit retten muss. Aber ich finde das schwierig, wenn man zu einem selbstbewussten, gut funktionierenden Haus wechselt. Also hab ich mich höflich zurückgehalten und bin in jeden Jour fixe, mit jedem mittagessen gegangen, der nicht bei drei auf’m Baum war, hab mir viele Abteilungen angeschaut, mit denen ich direkt nichts zu tun hatte, einfach um zu kapieren, wie das Haus tickt, und zu verstehen, was gut und nicht gut funktioniert, wo ich tätig werden muss und wo nicht. Das war eine gute Strategie und hat sich als sehr richtige Herangehensweise erwiesen.

Wie männlich ist die Medienbranche?
Oh, das ist eine Männerdomäne. Online vielleicht noch ein kleinen Tick weniger. Aber insgesamt haben wir hier in Deutschland doch eine sehr ausgeprägte Männerbranche.

Woher kommt das?
Es ist vielleicht eine verwegene Theorie, aber ich denke, gerade wenn ich mir auch in unserem Haus beispielsweise die politische Kommentierung ansehe, das Polarisierende, die knackige These – das kommt eher von Männern. Vielleicht prägt das auch die Branche selbst. Hinzu kommt: In den Medien ist der Machtfaktor ungleich grösser als der eigentliche Wirtschaftsfaktor. Das bedeutet, dass man an dieser meinungsbildenden Macht auch besonders festhält. Die Bereitschaft, das zu teilen, unter Teilhabe der Frauen, ist entsprechend gering ausgeprägt.

Wieso sieht man so wenig Frauen in den Medien, sei es bei Lanz, Jauch oder in der schreibenden Presse?
Meiner Erfahrung nach schreien die Männer dreimal schneller „hier“ als Frauen, wenn es darum geht, sich auf ein Podium zu setzen. Frauen sagen schnell: „Ist nicht ganz mein Thema.“ Männer sagen hingegen: „Das ist wurscht, egal – ich sag was dazu.“ Das ist natürlich nun sehr überspitzt formuliert, aber es ist generell meine Erfahrung. Es ist also für ein Medium leichter, an Männer zu kommen, auch weil es natürlich viel mehr männliche Exponenten gibt. Dann sollen es prominente Gesichter sein – wir haben überproportional viel mehr bekannte Männer als Frauen, und dann machen sich viele Veranstalter wenig Mühe zu recherchieren. In seiner Kartei hat man die üblichen fünf Frauen und die kriegen dann überproportional viele Anfragen. Auf jedes Podium, wo ich aktuell zusage, kommen 10-15 Absagen. Ich höre das auch bei Konferenzveranstaltern. Dann sagen die: Wir haben ja Borchert angefragt – wir waren willens, aber die hat abgesagt. Ich bin kein Ausstellungsstück für die weiblichen Leader! Ich mach das gerne, aber ich hab einen Job. Um eine Frau aufs Podium oder eine Frau in die Sendung zu kriegen, muss man eben mehr recherchieren. Das ist eine Diskussion, die wir erst in den letzten zwei, drei Jahren begonnen haben zu führen. Bis dahin war das Geschlechter-Missverhältnis vielen nicht mal bewusst.

Müssen die Medien weiblicher werden?
Auf jeden Fall! Wir haben 50 % Frauen in der Bevölkerung. Auch 50 % der potenziellen Adressaten von Medien sind somit weiblich. Studien zufolge treffen Frauen rund 80 % der Kaufentscheidungen. Damit sind wir eine starke Wirtschaftsmacht. Das können wir als Medienbranche doch gar nicht länger ignorieren. Frauen bewegen sich nicht nur in Nischen, die von Frauenzeitschriften definiert werden, das greift zu kurz. Ich glaube, man macht es sich zu einfach: Häufig wird ja argumentiert: „Der Spiegel hat halt traditionell nur 30 % Frauen in der Leserschaft – die interessieren sich einfach nicht für Politik.“ Frauen interessieren sich schon – aber vielleicht nicht für exakt diese Form. Sie wollen Geschichten anders verpackt haben. Das macht die Story nicht weniger gut, weniger hart, die Recherche nicht weniger wichtig. Es geht vielmehr um die Ansprache und das Storytelling. Wenn wir überwiegend Männer im Journalismus haben und in Positionen, wo sie dann entscheiden, was auf den Titel oder in die Sendung kommt, dann treffen wir eher Entscheidungen für Männer. Das halte ich schon wirtschaftlich nicht für sinnvoll. In den Medien haben wir häufig viel zu homogene Führungsgremien. Da sitzen Männer, alle im gleichen Alter, mit dem gleichen Hintergrund, derselben Ausbildung … das hat 60 Jahre lang super funktioniert, schon klar! – Aber in einem Zeitalter, wo sich alles schneller wandelt als je zuvor, gerade im Onlinebereich, ist das unfassbar kurzsichtig. Nutzer wandern von Produkt zu Produkt – wir sind ständig gefordert. Ich denke, wir brauchen diversifizierte Führungsteams, auch sozioökonomisch! Wir haben wachsende Bevölkerungsanteile mit Migrations-hintergrund – auch das ist in den Medien nicht adäquat widergespiegelt.

Das Storytelling kenne ich seitens Ladies Drive … unser erklärtes Ziel ist es, ein sinnliches Business- und Wirtschaftsmagazin zu sein. Viele verwechseln das mit „Lifestyle“. Aber es hat was damit zu tun, dass wir Wirtschaft nicht mit Zahlen, sondern mit Menschen erklären wollen.
Genau das ist eben der Unterschied!

Sie sprechen sich ja auch öffentlich für eine Frauenquote aus. Weshalb?
Meine Mutter hat vor 25 Jahren für die Einführung von Quoten in die Politik gekämpft. Damals haben wir heftig gestritten, und ich erinnere mich, dass sie mich mal im Regen aus dem Auto geschmissen hat, weil sie nicht begreifen konnte, dass ich keine Feministin war und viel zu verwöhnt, um zu verstehen. Das änderte sich bei mir mit wachsender Berufs- und Lebenserfahrung. Das geht vielen Frauen so. Spätestens wenn man in die Arbeitswelt eintritt, spürt man, wie viele Hindernisse doch noch da sind. Wir haben zum Glück keine Strukturen mehr wie in den 1950ern. Aber Kommunikationsmuster sind anders in männerdominierten Teams und Unternehmen. Entscheidungsabläufe funktionieren anders, alles Dinge, die es Frauen schwerer machen. Eine Frau allein kann wenig ausrichten – wir brauchen eine kritische Masse an Frauen in der Führung. Ich muss sagen, ich bin schlicht desillusioniert. Von alleine wird sich zu wenig ändern. Wir haben hierzulande vor zwölf Jahren all dies schon mal diskutiert – es endete mit der Selbstverpflichtung der Industrie. Seither ist der Anteil der Frauen in Führungsgremien bei börsennotierten Unternehmen minimalst gewachsen! Die Entwicklung der letzten Dekade darf als homöopathische Dosis bezeichnet werden – es hat sich nichts getan. Freiwillig gibt niemand Macht ab. Und natürlich ist es so: Wenn qualifizierte Frauen gefördert werden, müssen qualifizierte Männer zurückstehen. Aber ich möchte nicht mehr länger untätig zuschauen, wie sich nichts bewegt. Das ist für Deutschland auch als Wirtschaftsstandort nicht sinnvoll, gut ausgebildete, ambitionierte, talentierte Frauen auf halber Strecke verhungern zu lassen. Deshalb glaube ich an eine zeitlich begrenzte Quote.

Wie ist das Feedback auch bei Ihnen im Hause auf Ihre Meinung hierzu?
(Lacht) … auf Führungsebene bin ich wohl die Einzige, die das will. Damit kann ich gut leben und sehe das sportlich. Zumal ich sehe, was sich alleine durch diese Diskussion in den letzten zwei Jahren verändert hat. Das macht mich optimistisch für unser Unternehmen. Wir haben mehr Frauen in den Ressortleitungen als je zuvor, wir haben gerade auf der Printseite eine Frau zur stellvertretenden Wirtschaftsressortleiterin gemacht. Wir haben im Haus ein Nachwuchsförderungsprogramm initiiert, welches Frauen und Männer fördert, wo aber darauf geachtet wird, dass mindestens die Hälfte der Teilnehmer weiblich ist. De facto sind es übrigens 70 % Frauen, weil so viele gute Frauen in das Programm gedrängt haben. Wir haben eine intensive Diskussion über Teilzeitarbeit für Männer und Frauen – Kind oder Karriere soll keine Wahl mehr sein, sondern zum Wohle aller Hand in Hand gehen können, wenn man dies wünscht. Das sind Dinge, die vor zwei Jahren nicht so einfach denkbar gewesen wären. Das Damoklesschwert der gesetzlichen Regulierung ist ein Grund, weshalb im ganzen Land derzeit ganz neue Diskussionen geführt werden können.

Sie sind selbst in einer Führungsfunktion – ziehen Sie andere Frauen nach oder kümmert Sie das wenig, und Sie fördern all jene, die gut sind?
Ich versuche generell Leute zu fördern, die gut sind. Aber mein Fokus liegt schon darauf, Frauen nachzuziehen. Es ist so wichtig! Wenn wir als Frauen das nicht tun – wer dann?

Frauen sind der Frauen grösster Karriereverhinderer, sagen böse Zungen. Hat das was?
Ich kann das nicht bestätigen. Viele Frauen behindern sich selbst, aber nicht unbedingt andere. Ich arbeite natürlich in einer Branche mit so wenigen Frauen – wir tendieren deshalb dazu, uns gegenseitig zu unterstützen und Netzwerke zu bilden.

Worauf sind Sie als Geschäftsführerin besonders stolz, es erreicht zu haben?
Wir sind, glaube ich, das einzige Land, wo das erfolgreichste Online-Nachrichtenmedium von der Marke eines Wochenmagazins abstammt und nicht von einem Tagesmedium, einer Tageszeitung. Journalistisch ist das eine Erfolgsgeschichte. Aber auch wirtschaftlich! Wir sind profitabel und unabhängig von Printerlösen – das ist in den meisten Häusern nicht der Fall. Wir hatten mehrere Rekordjahre in Folge. Das erlaubt es uns, guten, unabhängigen Online-Journalismus zu betreiben – diesen weiter auszubauen und zu fördern.

Wie würden Medien mit mehr Frauen in der Führung und im Journalismus aussehen?
Ich habe darauf keine richtige Antwort – das ist eine gute Frage (zögert, überlegt). Die Themen wären wahrscheinlich zum grössten Teil die gleichen, zumal im Nachrichtenjournalismus, wo sich gewisse Themen einfach aufdrängen – aber ich lehne mich weit aus dem Fenster. Ich glaube … vielleicht würde manche Sache persönlicher erzählt, anhand von Einzelgeschichten anstatt nur auf der abstrakten Ebene. Mehr Menschen statt nur Zahlen. Die Bildsprache wäre vermutlich auch eine andere, auch die Schwerpunktsetzung. Nicht nur die Produkte, auch die Kultur in den Häusern wäre anders, wir würden vermutlich anders arbeiten. Mehr Führung in Teilzeit, Job-Sharing, mehr Teamwork. Vermutlich würde man vermehrt entlang von Sachfragen und konkreten Projekten arbeiten, Teams immer wieder neu zusammensetzen – und weniger territorial entlang Berichtslinien.

Und was macht Sie persönlich glücklich am Ende eines Arbeitstages?
Es ist nun kurz vor 18 Uhr – ich arbeite noch eine ganze Weile … o.k., ich arbeite vermutlich viel zu viel! – Das fällt mir in solchen Situationen immer wieder auf. Aber ich hab einen Hund, der unbedingt mit mir in den Park möchte. So bin ich jeden Abend eine halbe oder dreiviertel Stunde mit dem Hund vor der Tür. Morgens sowieso. Ich mag es, frischen Seewind im Gesicht zu spüren, runterzufahren, abzuschalten. Und wenn ich’s irgendwie schaffe, gehe ich auch gerne mal, wie heute, mit Freunden gut essen. Aber es ist auch absolut o.k., mit dem Hund auf’m Sofa ein gutes Magazin oder Buch zu lesen. Auch das macht mich glücklich nach einem langen Tag.

 

Weiterführende Informationen: www.spiegel.de

 

 

Veröffentlicht am Januar 11, 2014

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