Zwei Reisen an den selben Ort auf der Balkanroute. Die Erlebnisse sind gleich und dennoch klaffen sie auseinander.
Auf der Reise im Januar waren wir, Hans, Claudio und ich, Teil von Remar S.O.S, unterwegs und versorgen die Fliehenden im Camp mit Suppe, Tee und Kleidern. Auf der gesamten Balkanroute sind sie vertreten und sind einfach da für die, die es so fest brauchen. Wir hatten 4000€ Spendengelder dabei und kauften in der nahegelegenen Stadt Vranje Schuhe, Socken und Mützen. Einen Teil der Spendengelder investierten wir in den Boden eines neuen Zeltes, das im Camp den Menschen Schlafplätze bietet. Und Essen besorgten wir auch, für die Remar-Suppenküche. Danke von ganzem Herzen all jenen, die uns Geld für Presevo gespendet haben. Die Schuhe sind längst verteilt, die Suppe verzehrt, der Zeltboden bietet nachhaltige Hilfe. Ohne die Grosszügigkeit aller Spender wäre dies nicht möglich gewesen.
Der Einsatz im Februar führte uns, Paulo, Lisa und mich, zu Borderfree Association, die in ihrem ausserhalb des Camps aufgestellten Zelt Tee, Suppe und Schlafplätze anbieten. Wärme und Geborgenheit. Sie haben auch uns freiwilligen Helfer so herzlich umsorgt und eine Atmosphäre geschaffen, in der Hilfestellung machbar ist. Wie sie die fliehenden Menschen bei sich aufnehmen ist Herzblut.
Im Januar waren die Grenzen nur teilweise geschlossen gewesen, es kamen in Presevo durchschnittlich 4000-6000 Menschen an pro Tag. Auch Afghanen. Im Februar waren es noch maximal 500. Syrer und Iraker. Nur sie. Die anderen zurückgehalten hinter Zäunen der Unmenschlichkeit.
Es war kaum auszuhalten, in Presevo zu sein, hilfsbereit und hilflos, wissend um das Elend an anderen Orten. Und dennoch brauchte es uns. Borderfree ist 24 Stunden am Tag für jene da, die kommen. Egal wieviele das sind. Es ist wichtig, standhaft zu sein, parat, präsent zu jeder Zeit. Aus Solidarität und Menschlichkeit.
Am dritten Tag kamen die Push backs. Afghanen, Syrer, Iraker, sie alle waren schon bis nach Kroatien geflüchtet und wurden dort aufgehalten, in Busse verfrachtet und zurück geschickt. Zurück nach Presevo. Zurück ins Nichts. Sie bekamen keine Antworten auf Ihre Fragen und hörten auf, sie zu stellen. Als sie bei uns ankamen, brachten wir ihnen Tee, halfen das Gepäck tragen und die Kinder, begleiteten sie zur Aufnahme ins Camp und umarmten sie. Es waren so viele. Kinder, mit ihren wunderschönen Gesichtern, die müder nicht hätten sein können. Leere Blicke in der Nacht. Sie wurden in der renovierten Tabakfabrik untergebracht, jeder bekam ein Bett und konnte duschen, sich Mensch fühlen in der ganz grossen Verlorenheit.
Mädchen mit der Kriegsverletzung, ich werde dich nie vergessen. Eine Bombe hatte dich getroffen und gelähmt. Nach der medizinischen Versorgung deines Dekubitus am Rücken begleiteten wir dich zum Bus. Paulo versuchte, es dir auf deinem Sitzplatz so bequem wie möglich zu machen, mit Decken deinen verkrampften Körper zu stützen. Es ging nicht. Da war kein Platz dich liegend zu lagern. Wir haben dich gesehen. Du warst still, demütig, weise in deinem Leid. Dein Anblick hat sich in meine Netzhaut gebrannt. Diesen Platz hast du. Wenigstens diesen.
Junge mit dem zu kleinen Schnuller, ich konnte dir nichts geben ausser einem zweiten, grösseren. Du sollst immer einen zweiten Schnuller bei dir haben, falls du einen verlierst. Das ist alles, was du ganz für dich alleine hast, was dir Sicherheit gibt und Ruhe in diesen schmutzigen Zeiten.
Syrerin, dein Sohn wird dich finden. Hab Vertrauen und warte auf ihn. Er kommt morgen, ich bin sicher, er war ja direkt hinter dir, mit seiner Frau an der Grenze zu Mazedonien. Sie werden ihn morgen durchlassen. Es kommt alles gut. Ich hoffe es.
Junge Mutter, bitte verzeih, ich habe keine Jacke in der Grösse deines Babies. Aber hier, nimm diesen Frauenmantel und wickle ihn um deinen Sohn. Er friert, ich weiss, bald wird ihm wieder warm. Du machst es so gut, du bist so stark. Sei umarmt.
Wieder zuhause, lese ich mich durch Facebook auf der Suche nach Updates aus dem Grenzgebieten. Ich kann nicht loslassen, nicht gleichzeitig nicht auch dort sein in Gedanken und im Herzen. Hier, auf Facebook, stolpere ich über belanglose Wetterposts. Und denke: „Hört auf, das Wetter zu posten.“ Es betrifft uns nicht. Es ist einfach da, so wie es eben ist und wir können uns anpassen. Es kann uns nichts Lebensbedrohliches passieren, wenn es schneit im März, regnet oder einfach grau ist. Ich finde mich langsam wieder zurecht in unserem kriegsfreien Land, stolpere weiter durch meinen Alltag. Kind hör auf zu stürmen wenn dir mein gekochtes Abendessen nicht schmeckt. Freundin hör auf zu jammern wenn dich deine Schuhe drücken. Du hast andere, viele. Leute hört auf, euch im Coop zu beschimpfen, wenn jemand in der Schlange drängelt. Drängelt gar nicht. Es geht um Minuten. Minuten eines geschützen Lebens. Ich habe in Presevo niemanden drängeln gesehen in den Schlangen vor Registrierungen, Essensausgaben, Busfahrten.
Ich habe Panik gesehen. Das ja. Verzweifelte Menschen, schreiende, weinende, vor dem Zug, mir angstgetrieben Babies reichend um sich einen Platz zu ergattern. In der Sicherheit. In der Zukunft. Die Zukunft in Alemannia. Lisa hat sich zum ersten Mal in ihrem Leben geschämt ihrer Herkunft wegen. Alemannia, gelobtes Land. Nichts habe ich den Fliehenden gesagt über die Zustände, die sie auf der Weiterreise erwarten. Auch nicht, als ich gefragt wurde, wohin am besten. Zwei mal das Sehnen nach Holland. Eine Frau alleine mit vier Kindern, dort sei es bestimmt gut. Ich habe geschwiegen. Ein junger Mann, Ahmed, Student aus Aleppo, mit dem Traum seines Amsterdams, das er vor ein paar Jahren als Tourist zu lieben begonnen hatte. Sein Amsterdam. Jetzt dreht er durch in in Heumensoord, einem Zeltlager im Wald. Papiere und Pass wurden ihm abgenommen und sein Geld auch. Er ist gestrandet im Niemandsland, fern seiner Traumstadt und verzweifelt. Ich kann ihm nicht helfen. Nur gut gemeinte Worte via Messenger kann ich ihm schicken und erklären, dass er nicht in die Schweiz flüchten soll. Er würde zurückgeschickt. Nach Holland. Wie absurd.
Ich ertrage die Bilder nicht. Weil ich nichts tun kann, um sie ungeschehen zu machen. Ich kann die Welt nicht retten, das weiss ich. Aber ich möchte. Ich möchte, dass es aufhört. Ich möchte Stopp schreien, lasst sie durch, haut ab mit euren Ängsten um euren sicheren Platz. Aber die, die mich hören sollten, tun es nicht. Hören kein Schreien und schauen nicht hin. Ich möchte ihnen sagen, schaut die Menschen an, die fliehen. Schaut ihnen in die Augen und sagt es laut, dass sie bei euch nicht willkommen sind. Ihr könnt es nicht. Weil ihr sie nicht sehen könnt, so wie sie sind, wie sie wirklich sind. Ihr seht nur euch und folgt eurem Egoshoot. Für ein sicheres Alemannia und Amsterdam.
Die Kinder der heutigen Zeit, unsere und die geflohenen, sie alle werden mit den Folgen der Flüchtlingskrise umgehen können müssen. Für sie wird es kein Wegschauen geben, kein sich Festhalten an treuen Werten. Unsere Reaktion auf die Flüchtlingssituation prägt hier und jetzt ihre Kindheit und formt ihre Zukunft. Werden meine Kinder mich fragen, was ich damals, als die Krise begann, tat, möchte ich mit starkem Rückgrat dastehen und berichten können. Ich möchte mich nicht rechtfertigen müssen mit ohnmächtigen Redewendungen und einem Hinweisen auf den Tropfen auf den heissen Stein. Ich werde sie daran erinnern können, wie sie mitgeholfen haben beim Spenden sortieren, einpacken, verteilen. Es ist gut, dass meine Söhne eine Mutter haben, die für ein paar Tage auf der Balkanroute helfen geht. Es ist gut, wenn mein jüngerer Sohn auf der Strasse Flüchtlinge zu sehen meint und mich fragt, ob wir was dabeihaben zum spenden. ie Kinder von heute brauchen uns als Vorbild, als Wegleiter, als Stütze und Mutmacher. Hinschauen, in Aktion gehen, auf jemanden zugehen, zuhören, verstehen versuchen, erfassen versuchen, da sein, lächeln, darüber reden versus Ohnmacht, wegschauen, kleinreden, schweigen, Blicke senken, ausweichen, nicht sein.
Hier, bei uns, wird unser Leben nicht durch Krieg bestimmt. Wir brauchen uns nicht davor zu fürchten, unsere Kinder in die Schule zu schicken. Unser Hab und Gut hat nicht in genau eine Tasche zu passen. Die Strassen sind kein Todesurteil. Hier ist das so. Woanders nicht. Das wissen wir. Damit leben wir. Ob gut, ob schlecht, ist jedem selbst überlassen.
Wir werden in unser Schicksal hineingeboren. Es wird uns in die Wiege gelegt als ein sich immerwährend drehendes Rad. Entscheidend sind die Kräfte, die es antreiben. Die Gleichgültigkeit, das Mitgefühl, der Hass, die Liebe. Sie ändern den Lauf des Lebens eines jeden einzelnen und der Gemeinschaft, der Gesellschaft, der Menschheit. Es braucht nicht viel, um der Liebe den Weg zu ebnen, Gutes zu bewirken.
Helfen ist kein Accessoire, das in der Handtasche gut verstaut bei schlechtem Gewissen aus der Schatulle springt. Es ist keine Denkweise, keine Redensart, nicht Entscheidung oder Destination. Helfen ist Herzenssache. Herzblut. Lebensweise. Liebe.
Mein Herzblut für eine Welt, in der die Liebe überall willkommen ist und die Kinder ihrer Zeit gewachsen sind.
Dank „Basel hilft mit“ kann ich meine Art zu helfen sinnvoll anbieten. Ich bin dankbar für alle Menschen, die uns haben wachsen lassen, die an uns glauben, uns unterstützen und mit uns da sind. Ich freue mich auf eine hilfsbereite, vielleicht auch liebevollere Welt, in der jeder Tropfen auf den heissen Stein der ersehnte Regen nach einer Dürre bedeuten kann.
Hier können Sie helfen: https://www.baselhilftmit.ch/
*Sie wohnt in Basel mit ihren zwei Söhnen (17 und 7) und zwei Katzen. Im August 2015 hat sie mit drei Freundinnen den Flüchtlingshilfe Verein „Basel hilft mit“ aufgebaut. Das ist ihr grosses Herzensprojekt und die Ladies haben schon viel bewirkt. Ab April 2016 wird Fabiola eine Stelle in der Betreuung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge annehmen. Ihr Traumjob.