„Es Corvettli“ höre ich eine ältere Dame mit zitternder Stimme sagen. Das für die Schweizer typische Verkleinern von Dingen, die eigentlich gar nicht so winzig-herzig-putzig sind, ist Teil des helvetischen Verständnisses für Komplimente. Wir unterhalten uns eine ganze Weile mit ihr über unseren Testwagen. Und als wir einsteigen, ruft sie uns verklärt hinterher: „Also, wenn ich mal im Lotto gewinne, kaufe ich mir auch genau so ein Auto!“. Von wegen eine Corvette, für viele der Inbegriff US-amerikanischer Sportwagen, sei nur was für Männer und PS-Junkies. Offenbar haben es die Chevrolet Designer geschafft, auch die neueste Ausgabe der Corvette derart zu formen, dass sie Begehrlichkeiten auslöst.
Diverse Studien zeigen zwar, dass die Bedeutung des Automobils als Statussymbol abnehmen wird – aber irgendwie ist das kaum zu spüren, wenn man eine automobile Ikone mit 512 PS (?!?) und obendrein noch als Collector Edition spazieren fahren darf. Der silbernfarbene Streifen, der sich über die gesamte Länge des Fahrzeugs erstreckt, könnte fast von sich behaupten, er stamme von abgeraspeltem Asphalt, den die Corvette aufgewirbelt hat, bevor sie sich mit ihrer schier unbändigen Beschleunigung in die Strasse gefressen hat.
Wenn man sich der Corvette nähert, sieht man erst einen stummeligen Popo – und in unserer Testversion ein dunkelblaues Stoffverdeck, über welches sich die eben beschriebenen silbernen Streifen Ton in Ton fortzusetzen scheinen. Ein schönes Designmerkmal, auf welches wir sogar von weniger PS-affinen Menschen angesprochen wurden. Wenn man indes an einem schönen, sonnigen Tag durch irgendeine Innenstadt fährt, vorbei an gut besuchten Strassencafés, ist es eigentlich am spannendsten, als Beifahrer mit an Bord zu sein. Wie ein Jäger kann man dann den Blick umherschweifen lassen, denn irgendwann recken sich definitiv irgendwo, an einem der Tische, ein paar Köpfe von tendenziell eher jüngeren Männern (und hin und wieder durchaus attraktiven), die aus dem Stuhl hoch schiessen, wie von der Tarantel gestochen, einem Luftsprung gleichend, und sich atemlos in unsere Richtung drehen. Doch liebe Damen – machen Sie sich hier keine verfrühten, falschen Hoffnungen! Es geht diesen jungen Herren der Schöpfung keineswegs um Sie. Egal, ob blond, ob braun, rot oder schwarz – die Frau am Steuer oder daneben steht nicht im Fokus, sondern einzig und allein: das Auto. Und sie schreien einem entgegen, man möge es kaum glauben: „Gib Gas!“. Hätten wir es nicht mehrfach diesen Herbst selbst und live erlebt, wir würden es nicht glauben.
Also, fassen wir kurz zusammen:
Eine Corvette sorgt für erhöhten Puls bei Männern. Häufig unter dreissig. Oder bei Frauen, gemäss unserer Erfahrung, über fünfzig. Als wir wieder mal bei einer Tankstelle anzapfen, steigt eine Dame Mitte fünfzig aus ihrem bordeauxfarbenen Subaru, kommt zu uns rüber, schüttelt uns durchs offene Fenster die Hand und meint freudestrahlend: „Ich gratuliere Ihnen zu diesem schönen Auto!“. Ich sage Ihnen – da bleibt einem fast die Luft weg! Insofern kann man eine ganze Menge unglaublicher Dinge erleben in einer Corvette. Abgesehen davon ist man ja mit einer Motorisierung unterwegs, die einem den Mund offenstehen und die Schleimhäute austrocknen lässt. Und so kam es eines schönen Abends, dass wir auf einer Ausfahrtsstrasse mit vorgeschriebenen 80 km/h maximaler Geschwindigkeit unterwegs waren – und Sie ahnen vermutlich, wo unsere Ausführungen nun enden werden. Vor uns ein Mitbürger mit 60 km/h, wir also nun bekanntermassen unterwegs mit zügellosen 512 Pferdestärken, und mit einem eleganten Schlenker ist jener überholt und wir landen direkt vor den Füssen eines etwas hektisch mit seiner Leuchtkelle umherwedelnden Polizisten. Den Rest kennen Sie sicher. Was wir damit sagen wollen: 512 PS beschleunigen wirklich, wirklich überraschend schnell. Und eigentlich bräuchte man mit solch einem Geschoss in der Garage auch einen entsprechenden Haushaltsbudget-Posten, der für diese und weitere Eventualitäten finanzielle Rückendeckung bietet. Als sich uns einer der jungen Polizisten also mit finsterer Miene nähert, ahnen wir das Schlimmste. Er meint dann jedoch lakonisch: „Sie wissen, dass Sie den Wagen nun zu Testfahrtzwecken an uns übergeben müssen, oder?“ – Als er unsere wohl etwas erstaunten Gesichter bemerkt, kann sich der junge Mann ein breites Grinsen nicht verkneifen. „Nein! Das war natürlich nur Spass. Aber mal im Ernst: Sie wissen, dass Sie zu schnell unterwegs waren, oder?“. Ach ja, wir waren wissend, wenn auch überrascht von der monströsen Beschleunigung unseres „Corvettli“. Und es war definitiv eine der teuersten Testfahrten der letzten Jahre …
Americano. Modell: Corvette Convertible 427 Collector Edition Leistung: 512 PS Verbrauch (Herstellerangabe): 13,8 l/100 km CO2-Emissionen: 325 g/km Preis ab: CHF 107’000.00 www.chevrolet.com