Birgit Pestalozzi
Unternehmerin & Coach
NPO Co-Founderin „Swiss Initiative – culture projects“
Eine neue Ära
Die emotionale Intelligenz ist ein Gamechanger in diesen Zeiten. Nur, wie ändert man ein Spiel? Indem man die Stärken und Schwächen der Schlüsselspieler analysiert. In diesem Fall: unser Gehirn. Da liegt die Krux: Unser Gehirn hat die primäre Aufgabe, uns vor Gefahren zu schützen. Ohne den korrigierenden Einsatz der emotionalen Intelligenz (EI) laufen wir Gefahr, Entscheidungen aus dem „Gefahrenhirn“ heraus zu fällen. Das heisst, dort, wo Stress und Angst zu Hause sind. Die auf dieser Basis gefällten Entscheidungen lösen wiederum negative Emotionen bei allen Beteiligten aus. Es entsteht ein Abwärtssog. Die EI kann diesen Abwärtssog durchbrechen. Raus aus dem Gefahrenhirn, rein in den Ort, wo positive Emotionen wie Empathie, Kreativität und klarsichtiges Handeln zu Hause sind: unser Frontalhirn.
Wenn Leader:innen emotional intelligent agieren, setzt der Multiplikatoreffekt ein.
Und zwar wenn Führungskräfte wissen, was sich gut oder schlecht anfühlt bei sich selbst und anderen und die wissen, wie man vom Schlechten zum Guten kommt. Wenn EI als fester Bestandteil der Rekrutierung und Performancemessung integriert wird, können grosse Wellen der positiven Veränderung entstehen. So schaffen wir es, den negativen Abwärtssog in eine positive Aufwärtsspirale zu verwandeln. Alles was es zu diesem Gamechanger braucht, ist, dass wir zu 75% aus dem Frontalhirn agieren, und nicht aus dem Angsthirn. Nötig haben wir den Gamechanger sehr. Alternative Realitäten teilen die Menschen in hermetisch geschlossenen Feedbackloops. Das Resultat: Wo früher Konflikte durch Diskussionen gelöst wurden, verhärten sie sich heute, da kein gemeinsamer Nährboden mehr für Konsens besteht. Die Pandemie duscht uns täglich mit Existenzangst auf allen Ebenen. Unser „Gefahrenhirn“ läuft auf Hochtouren. Dazu kommt die Digitalisierung der sozialen Interaktionen. EI an sich ist schon anspruchsvoll, EI über Zoom & Co. dann die Königsdisziplin. Und wie wird es im Metaversum, wo physische und digitale Welten im virtuellen Raum zusammenkommen?
Dann wird Vertrauen zur alles entscheidenden Währung.
Und Vertrauen schaffen und erhalten wir, indem wir emotional intelligent agieren. Das Gute: Emotionen sind ansteckend! Positive wie negative. Mit EI verbreiten wir die guten. Also brauchen wir nur unsere Masken fallen zu lassen und unser wahres Gesicht zu zeigen. Das Gesicht der Menschlichkeit. Und was gibt es Menschlicheres als Emotionen.
Für diese neue Ära hin zu einem emotional intelligenteren Leadership braucht es Talent bei der Rekrutierung. Die Navy SEALs, die Elitekampfeinheit schlechthin, legen zum Beispiel bei der Rekrutierung mehr Wert auf die Vertrauenswürdigkeit einer Person als auf ihre Leistung. Viel Geduld ist ebenfalls gefragt. Denn Mitarbeitende dazu zu bewegen, über (negative) Emotionen zu reden, dürfte für viele beängstigendes Neuland sein.
Negative Emotionen zu äussern ist in vielen Firmenkulturen inakzeptabel. Bestehende Glaubenssätze zu hinterfragen und für sich neu zu definieren ist daher ein Muss.
Ja, man kann sein Gehirn trainieren, um mehr emotionale Intelligenz zu erreichen.
Wie schnell das geht, habe ich selbst sehr eindrücklich erfahren, als ich mich vor zwei Jahren im Konzept der positiven Intelligenz habe ausbilden lassen (ein Konzept, welches die emotionale Intelligenz beinhaltet). Zu Beginn der Ausbildung mussten wir alle einen Test zum Stand unserer positiven Intelligenz absolvieren. Der Wert von anfangs 53 Prozent war nach sechs Wochen bereits auf 81 Prozent angestiegen. Das Geheimnis dieser Veränderung liegt im täglichen Training des Gehirns. Wir durften dies mithilfe einer App durchlaufen, die uns alle drei Stunden zu einer Trainingseinheit aufgefordert hat.
Vertiefen kann man die emotionale Intelligenz erwiesenermassen übrigens auch mit dem Wundermittel für (fast) alles – der Meditation.
Meine vier Werkzeuge, die ich meinen Kund:innen und mir für den täglichen Gebrauch mit auf den Weg gebe:
Erstens, Achtsamkeitsübungen, das heisst einen „Check-in“ machen mit dem eigenen Körper, und zwar über unsere fünf Sinne. Zweitens, die „Inneres-Kind-Übung“: Sieh das Kind in deinem Gegenüber. Und dann handle so verständnisvoll mit dem inneren Kind, wie du auch mit anderen Kindern umgehen würdest. Drittens, die vier Versprechen nach Miguel Ruiz befolgen, besonders Versprechen zwei, die Dinge nicht persönlich zu nehmen, und Versprechen drei, keine Annahmen zu treffen. Viertens, die Zehn-Prozent-Regel: Wenn ich meinem Gegenüber zuhöre, fokussiere ich mich auf jene zehn Prozent des Gesagten, denen ich zustimmen kann. Und nicht auf die 90 Prozent, gegen die ich Widerstand verspüre. Meine Antwort auf das Gesagte ist dann nicht „Ja, aber“, sondern „Was mir an dieser Aussage gefällt, ist …“. Diese einfache Regel hat schon so manche Beziehung gerettet.
Meine persönliche Empfehlung für Leaderinnen:
Die emotionale Intelligenz unbedingt mit der positiven Intelligenz (PI) zu kombinieren. Während die EI Emotionen erkennt, versteht und steuert, kümmert sich die PI darum, dass negative Emotionen gar nicht erst die Überhand gewinnen.
Weitere Artikel in der Serie „Emotionale Intelligenz“: