Dass ein Anbieter eine Fahrzeugflotte zum temporären Gebrauch zur Verfügung stellt, kennt man mittlerweile fast überall in Europa. Wir wollen die Vorreiterrolle des Schweizer Anbieters Mobility in keiner Weise schmälern. Aber was nun vom Schweizer Unternehmen sharoo kommt, dürfte ein Beben in der Automobilbranche verursachen – und zwar weltweit. Denn jetzt wird auch privat geteilt!
Bei sharoo kann man das Auto, das man gerade braucht, schon ab einer Nutzungsdauer von 15 Minuten mieten. Sei es ein Lieferwagen oder ein Sportwagen. Und diese Fahrzeuge gehören nicht dem Anbieter sharoo selbst, sondern Privatpersonen. Das eröffnet nicht nur jedem Autobesitzer eine tolle Zusatzverdienstmöglichkeit (zum Beispiel, wenn er seinen Tesla eine Zeit lang nicht selbst bewegen kann), sondern auch KMUs und Grossfirmen eine günstige, schnelle und unkomplizierte Mobilitätslösung – denn sharoo ist auch im B2B-Bereich tätig. Wie schon mit Uber oder Airbnb kommt hier also ein neuer Anbieter ins Spiel.
Die Haftungsfrage, die sich da immer gleich stellt, hat sharoo bereits innovativ und clever beantwortet – gemeinsam mit dem Schweizer Versicherer Mobiliar hat man eine eigene Police entwickelt, welche man temporär dazubucht und welche somit Vermieter wie auch Mieter schützt.
An der Spitze dieses innovativen Unternehmens steht eine smarte junge Frau: Carmen Spielmann. Die passionierte Fallschirmspringerin schaffte es im Alter von 28 Jahren an die Spitze des Jungunternehmens – und das mit jeder Menge Cleverness und ohne MBA. Ein Studium hat die Zürcherin nämlich nicht. Brauchte sie auch nicht, denn sie machte auch so ihren Weg. Und wie!
Ladies Drive: Was war so dein erster Berufswunsch als Kind, kannst du dich noch erinnern?
Carmen Spielmann: Ja, ich wollte immer schon Stuntwoman werden.
Stuntwoman? (lacht) Was hast du denn im Fernsehen gesehen? (lacht) Ich kann mich daran erinnern, dass ich unglaublich fasziniert war von den halsbrecherischen Aktionen einiger Greenpeace-Aktivisten. Da ich als Kind ihre weltverbessernden Absichten noch nicht in vollem Umfang durchschaut hatte, verdichtete sich mein Wunsch nach Abenteuer im Berufswunsch der Stuntwoman. Abgehakt ist das Kapitel allerdings noch nicht ganz in meinem Leben. Der Wunsch besteht noch immer.
Aber du bist ja offensichtlich nicht Stuntwoman geworden …
(beide lachen) Nein, noch nicht. Nach der Matura hab ich mir mit 18 Jahren meinen grossen Traum verwirklicht und begonnen, Fallschirm zu springen. Das war eigentlich auch der Grund, weshalb ich nicht studiert hab – ich wollte Geld verdienen, um mir mein Hobby finanzieren zu können. Mein erster Job war damals bei der Zürcher Kantonalbank ZKB. Ich habe Steuererklärungen für Kunden ausgefüllt. Nach einem halben Jahr bot man mir eine Festanstellung im Bereich Kundenbetreuung an – und noch mal ein Jahr später wechselte ich ins Backoffice, wo ich dann rasch in meine erste Führungsposition kam: Mit 22 war ich stellvertretende Teamleiterin und mitverantwortlich für ein Team von 16 Mitarbeitern. Ich ergriff die Chancen, die man mir bot. Ich hab zudem neben meiner leitenden Position IT-Projekte als Projektmitarbeiterin begleitet, was mir ein spannendes und breites Spektrum ermöglichte.
Und das Fallschirmspringen?
Ich habe parallel zum Job über 1.200 Fallschirmsprünge gemacht – ich hab mich da also absolut ausgelebt. Mit 24 Jahren kam ich an den Punkt, an welchem ich realisierte, dass mich die Bankenwelt trotz vieler Chancen nicht langfristig begeistern wird …
Wieso?
Wie in einem Grosskonzern üblich, war meine Arbeit sehr prozesslastig. Ich realisierte, dass der Rahmen, in dem ich mich bewegen und was ich mit meiner Arbeit verändern und bewirken kann, sehr beschränkt ist. Ich hatte grosses Verlangen danach, mehr Einfluss nehmen und gestalten zu können. Also hab ich über Nacht entschieden zu kündigen. Dennoch möchte ich die Zeit und die Erfahrung niemals missen.
Man gibt dir ohne Studium eine Chance in einer Bank, und du kündigst … Das ist ungewöhnlich, aber ich finde es sehr cool und geradlinig!
Ich wollte meinem Herzen folgen. Nach der Kündigung bin ich erst mal einen Monat Fallschirmspringen gegangen und habe mich währenddessen nach einer neuen Position umgeschaut. Über eine Stellenvermittlung bin ich dann zu m-way
gekommen, damals noch ein Start-up und eine Tochter der Migros. Erst mal als Assistentin der Geschäftsleitung, was nach meiner Führungsposition eine Umstellung bedeutete, aber das Unternehmen war jung und hat mich inhaltlich einfach fasziniert. Nach drei Monaten hat man mir eine neue Position angeboten und ich konnte ab dann als Projektleiterin direkt für den CEO arbeiten. Wir haben ein Projektoffice aufgebaut, über welches die strategischen Projekte der Firma geführt wurden. Eines dieser strategischen Projekte war übrigens sharoo. Das war 2012.
Also ganz zu Beginn des Megatrends „Sharism“.
Genau! Wir haben uns laufend mit neuen Mobilitätsthemen befasst und geprüft, welche unternehmerisch spannend und relevant sein könnten. Dies, ohne uns Grenzen bezüglich Umsetzbarkeit und Finanzierung zu setzen. Ein Jahr später haben wir uns tatsächlich darangemacht und mit der technischen Umsetzung begonnen. Von Anfang an war klar, dass unser Produkt für alle zugänglich sein und möglichst wenig technische Barrieren mit sich bringen soll. Das bedeutete in unserem Fall, dass wir eine Carsharing-Lösung ohne Schlüsselübergabe entwickeln wollten. Mit anfangs nur vier Mitarbeitern haben wir das Projekt aufgebaut, strukturiert und strategisch geplant, Investoren gesucht und Businesspläne geschrieben.
Eine gute Idee ist eine gute Idee – aber um sie zu skalieren, braucht es meist Investoren. Wie bist du an Geld gekommen, damit sharoo wachsen kann?
Ganz klassisch – mit einer Longund einer Shortlist. Da wir eine Migros-Tochter sind und somit schon einen sehr starken Partner hatten, war unser Ziel die Akquisition von strategischen Partnern, um unser Geschäftsmodell nachhaltig erfolgreich im Schweizer Markt zu platzieren. Vertrauen ist dafür ein Kernelement, und folglich starteten
wir die Suche nach einem Versicherungspartner. Im Herbst 2013 ist die Mobiliar als zweiter Investor eingestiegen.
Und wen habt ihr noch an Bord?
Mittlerweile haben auch noch Mobility und die AMAG investiert. Mit einem fünften Unternehmen stehen wir gerade in Verhandlung.
Eure Idee ist so einfach wie genial …
Ja – das Prinzip ist simpel: Autos stehen im Schnitt 23 von 24 Stunden am Tag ungenutzt herum. Wenn ich mein eigenes Auto gerade nicht brauche, vermiete ich es an andere und verdiene damit Geld. Wenn ich kein eigenes Auto habe, aber gern aber ab und zu eines nutzen möchte, kann ich dieses über sharoo mieten. Und das ganz einfach direkt über das Smartphone. Das Besondere an der Lösung ist, dass wir eine kleine Box entwickelt haben – in der Grösse eines Smartphones –, die innerhalb von 60 Minuten in jedes Auto eingebaut werden kann. Die sharoo Box ermöglicht das Öffnen und Schliessen des Autos über das eigene Smartphone.
Und die technische Lösung, das so anzubieten mit dieser Box, ist das eine Eigenentwicklung?
Ja!
Dass heisst, diese könntet ihr auch anderen Anbietern verkaufen?
Ja, das ist durchaus denkbar. Es gibt aktuell nur eine andere Firma auf dem Markt, die ebendieses technologisch so wie wir geschafft hat – die sitzt im Silicon Valley, wie könnte es anders sein.
Vermietet ihr über eure Plattform alles?
Vom Smart bis zu einem Porsche und auch Lieferwägen? Genau, Lieferwägen sind natürlich sehr beliebt. Ein grosser Teil der Buchungen findet statt, weil etwas transportiert werden muss.
Sprechen wir noch mal über die Haftung: Ich habe beispielsweise privat ein Fahrzeug, welches rumsteht, weil ich einen Monat auf Reisen bin. Dann könnte ich als Privatperson mein Auto über sharoo in dieser Zeit vermieten. Wenn jetzt aber jemand auf die Idee kommt, mit meinem Auto eine Bank zu überfallen, 15 andere Autos anzufahren, Polizisten zu verletzten. Was passiert dann? (beide lachen)
Das ist jetzt aber wirklich ein Worst-Case-Szenario! Wenn ich dein Auto für drei Stunden mieten möchte, löse ich mir dafür direkt bei der Buchung einen Versicherungsschutz. Diese Versicherung deckt fast alles ab – inklusive Assistance. Für die Versicherungsbranche sind dies komplett neue Ansätze. Neue Businessmodelle wie sharoo innovieren also auch neue Lösungen im Versicherungsmarkt.
Wie gross ist das Unternehmen sharoo mittlerweile?
Das Team zählt 18 Mitarbeiter. Über sharoo werden bereits heute 850 Autos geteilt.
Unterschätzt man deiner Einschätzung nach neue Businessmodelle wie eben das eure?
Schaut man sich an, was Airbnb in den letzten fünf Jahren geschafft hat, erkennt man, wie disruptiv die Sharing Economy sein kann. Nach nur fünf Jahren wurden über Airbnb bereits mehr Hotelbetten angeboten, als von der gesamten Hilton-Hotelgruppe weltweit. Nach nur 15 Monaten am Markt vermieten wir über sharoo bereits 850 Autos. Als Vergleich: Mobility vermietet insgesamt 2.700 Fahrzeuge.
Du hast es eben angesprochen: Wir leben in „disruptive times“. sharoo, kann sehr disruptiv sein fürs Neuwagengeschäft, aber auch für den Gebrauchtwagenmarkt. Zudem ist spannend, dass solch eine Innovation wie sharoo nicht von einem Automobilhersteller kommt, sondern von der Migros. Wie damals, als die Musik plötzlich über iTunes verkauft wurde – und nicht mehr vom Schallplattenfachhandel … Wie disruptiv seid ihr also für den Autohandel und die Hersteller?
Unsere Beziehung zu Besitz und somit auch zum Auto durchlebt einen Wandel. Wo das Auto früher für Freiheit stand, stehen heute das mobile Internet und der unbegrenzte Zugang zu sozialen Netzwerken. Freiheit bedeutet nicht mehr, mit dem eigenen Auto überall hinzufahren, sondern jederzeit und einfach über das Smartphone auf eines zugreifen zu können. Die Generation Connected bevorzugt die Flexibilität und nutzt lieber, als zu besitzen. Diese Veränderung spürt sicherlich auch die Automobilbranche. Der Autokauf findet nicht mehr mit 18 statt, sondern eher mit 35. Die AMAG erkannte diese Entwicklung frühzeitig und investierte aus diesem Grund neben weiteren Zukunftsthemen in sharoo.
Wieso fehlt so vielen – über zahlreiche Jahre äusserst erfolgreichen – Firmen der Mut, neue Wege zu gehen und „out of the box“ zu denken?
Innovation und die Investition in neue Geschäftsmodelle benötigen Mut. Angst, Fehler zu machen, ist dabei fehl am Platz. Innovieren heisst aber auch, sich Schwächen am Bestehenden, vielleicht manchmal Alteingesessenen, einzugestehen und für Veränderung bereit zu sein. Und das tut manchmal weh, ist anstrengend und deshalb unangenehm.
Wohl wahr – Querdenker sind nicht beliebt in grossen, schweren und über lange Jahre erfolgreichen Firmen. Aber was müssten Grossunternehmen aus deiner Sicht tun, um wieder selbst innovieren zu können?
Denn eigentlich haben die ja alles, was es braucht: globale Vertriebsstrukturen, Geldmittel, Arbeitskräfte und somit auch Crowd Intelligence, die man meines Erachtens noch viel zu wenig nutzt … Innovation entsteht oft in kleinen Ökosystemen und Teams, denn Innovation ist kein Kompromiss. Wichtig sind Zeit und Raum, um unkonventionelle Ideen und Technologien entstehen zu lassen. Schlanke Prozesse und Strukturen – direkte und offene Kommunikation. Innovation lässt sich auch nicht planen und bedeutet häufig ein hohes Anfangsinvestment mit Risiko. Ausserdem haben starke Ideen die Angewohnheit, unter einem gewissen Leidensdruck zu entstehen. Wer sich verändern muss, beginnt automatisch, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen.
Klar – aber das Problem mit dem Leidensdruck ist ja dies: Wenn er mal da ist, dann ist es meistens schon zu spät.
Die Kunst liegt wohl darin, dass man frühzeitig erkennt, wo Erneuerung und ein Umdenken notwendig sind, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Der erste Schritt ist immer der schwerste, nämlich sich Schwächen im eigenen System einzugestehen. Ausserdem ist es wichtig, dass man die eigene Vision mit Stärke durchzieht. In dem Moment, in dem man über neue Ansätze nachdenkt, ist die Zeit für die Vermarktung der Idee noch nicht reif oder das Produkt noch nicht massentauglich. Dann gilt es, sich auf dem Weg nicht beirren zu lassen. Auch wir wurden in den Anfangszeiten belächelt. Das eigene Auto an andere vermieten, wer macht denn schon so was.
Ach, das kenne ich. Das war bei uns genau gleich. Wie, ein sinnliches Businessmagazin – und dann für Frauen? – Geht ja gar nicht! Und wir haben bewiesen, das es sehr wohl geht. Und man aus einem Magazin eine „Bewegung“, ein Netzwerk, kreieren kann.
Oh, das glaub ich gern.
Wo gibt es ein ähnliches Konzept wie sharoo?
In den USA – es heisst Getaround. Auch in Deutschland gibt es ähnliche Konzepte. Allerdings nicht mit der gleichen Technologie. Die Schlüssel werden persönlich übergeben. Es ist also viel komplizierter, das eigene Auto zu vermieten, weil man sich jedes Mal mit dem Mieter treffen muss.
In der Schweiz macht ihr eure Arbeit ohnehin sehr gut – und mit Unterstützung von prominenten Ambassadoren wie dem Bachelor Vujo. Vujos Porsche gab’s bei euch auf der Plattform zu mieten … (lächelt)
Ja, wir haben eine sehr vielfältige Auswahl an Autos. sharoo steht für einen neuen Lebensstil, der offen und smart ist, weil er wegkommt vom klassischen Besitz und der blossen Identifikation darüber.
Meine Rede … Etwas nutzen, aber nicht mehr besitzen.
Genau! Wir befinden uns in einem Age of Access. Wir sind „always on“ und möchten flexibel und jederzeit auf Mobilität zugreifen können. Und das, ohne selbst zu besitzen.
Carmen, nun seid ihr mit sharoo disruptiv für die Automobilindustrie – aber was könnte disruptiv für sharoo sein?
Eine wirklich spannende Frage. Selbstfahrende Autos sind ein Trendthema mit sehr disruptivem Charakter für verschiedene Player. Für Taxifahrer, Logistikunternehmen, die Automobilbranche, den öffentlichen Verkehr und vielleicht auch für uns. Wenn man nun davon ausgeht, dass es zusätzlich zur Technologie der selbstfahrenden Autos eben auch eine übergreifende Technologie zur Steuerung dieser gibt, ist die Frage, wer in Zukunft im Besitz dieser Fahrzeuge ist und wer diese mit wem teilt. Ich durfte kürzlich das Mobility Lab in Stanford besuchen, in welchem unter anderem die Technologie für selbstfahrende Autos entsteht. Selbstfahrende Autos werden sich schneller durchsetzen, als wie heute erahnen können.
Du bist jetzt 28 Jahre alt, CEO eines Erfolg versprechenden Start-ups … Wo willst du denn noch hin? Was soll noch kommen?
Ich bin nicht auf ein bestimmtes Ziel fixiert. Das Wichtigste für mich ist die Sinnhaftigkeit meiner Tätigkeit. In meinem Leben und dem Leben von anderen. Heisst, ich möchte etwas tun, was mich persönlich erfüllt und weitere Leben etwas besser macht. Dazu kommt, dass ich es liebe, Dinge aufzubauen. Bei null anzufangen und stetig besser und erfolgreicher zu werden ist ein äusserst befriedigendes Gefühl.
Ist es nicht manchmal auch schwierig, wenn man als junger Mensch schnell so viel erreicht hat?
Eine solche Position bringt sicherlich auch Herausforderungen mit sich. Unabhängig vom Alter. Es werden von allen Seiten sehr hohe Erwartungen an einen gestellt, und alles was man tut, wird kritisch geprüft und bewertet. Das erfordert ein hohes Mass an Selbstmanagement und ein konstruktives Übertragen dieser Erwartungen an sich selbst. Ich fühle mich in meiner Funktion sehr wohl und bin stolz auf das, was ich gemeinsam mit meinem Team bewegen kann.
Du willst ganz viel arbeiten und verhältnismässig wenig Geld verdienen? (lacht)
Ach, was mich antreibt, ist nicht primär Geld. Ich möchte etwas bewegen und gestalten können. Das Unmögliche möglich machen. Behauptungen, dass gewisse Dinge nicht umsetzbar seien, stacheln mich immer an, das Gegenteil zu beweisen. Geht nicht gibt’s nicht.
Und was treibt dich als junge CEO, als junger Mensch an?
Ich möchte eine Beule im Universum hinterlassen und mit dem, was ich tue, Einfluss nehmen können. Das ist natürlich ein hoher Anspruch. Aber dieser lässt sich ja auch im Kleinen anwenden. Mit dem, was ich tue, Positives zu bewirken. Das ist es, was mich antreibt.
WEITERFÜHRENDE INFOS:
Wenn Sie mehr über sharoo erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen diesen Link: sharoo.com