Nicht dass wir uns hier missverstehen: Das war keine wilde Teenager-Träumerei, keine wunschvolle Idee – sondern vielmehr ein Masterplan. Giada Ilardo wusste schon ganz früh, was sie wollte und was nicht. Dass dies nicht die ganz normale Teenager-Beschäftigung ist, war der gebürti- gen Italienerin schon damals klar: „Ich wusste immer, dass ich anders bin – und ich wusste, dass ich etwas Grosses schaffen wollte.“ Gesagt, getan. 17 Jahre später ist sie mit ihren sechs Giahi-Shops die Schweizer Tattoo-Queen schlechthin. Das Schweizer Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ kürte sie unlängst zu einer der reichsten Schweizer unter 40 – „Das stimmt gar nicht!“, lacht sie in unserem Interview. Doch mal die ganze Geschichte von vorn …
Ladies Drive: Was war dein erster Berufswunsch?
Giada Ilardo: Ich wusste genau, dass es etwas mit Kunst sein sollte. Als ich mich dann später für eine Lehre hätte entscheiden müssen, war mir das alles viel zu wenig kreativ. Und ich wollte schon immer was Grosses erreichen – schon ganz früh.
Und wie kam die frühe Begeisterung fürs Tätowieren?
Ich war zwölf Jahre alt, als mir das erste Tattoo-Magazin per Zufall in die Hände fiel. Und das hat mich umgehauen und fasziniert. Ich habe fortan alles verschlungen, was es dazu zu lesen gab, und es zog mich irgendwie fast schon magisch an.
Was fandest du so anziehend und faszinierend?
Diese Art des Ausdrucks, die Szene an sich und die Menschen, die sich in dieser Szene bewegten. Etwas Künstlerisches auf immer und ewig auf die Haut zu bringen eröffnete mir eine ganz neue Dimension. Auch das Sich-Schmücken mit Piercings fand ich aussergewöhn- lich schön.
Und dass diese Kunst mit Schmerzen verbunden ist, hat dich nicht abgeschreckt oder nachdenklich werden lassen? Wenn ich so zurückdenke, glaube ich, das nicht bewusst wahrgenommen zu haben. Das war irgendwie nie wirklich ein Thema. Die Assoziation von Tattoo und Schmerzen kommt eher von einem älteren, reiferen Publikum. Die Jungen machen sich um Schmerzen nicht so Sorgen.
Was sind denn auch rückblickend Umstände oder Personen, die dich beeinflusst haben?
Es war wohl kein Mensch, kein bestimmtes Vorbild. Woran ich mich erinnere, ist, dass ich einen Bericht las über einen Menschen, der sich ein Zebra- Muster hat tätowieren lassen, und das hat mich doch sehr fasziniert. Und meine Eltern … Meine Mama arbeitet mittlerweile bei mir im Laden. Ich hatte also kein künst- lerisches Umfeld, kein direktes Vorbild. Dafür waren die meisten Familienmitglieder selbstständig, das hat mich sicher beeinflusst.
Du hast erwähnt, dass du schon früh wusstest, dass du etwas Grosses schaf- fen willst. Was hat es damals bedeu- tet – und heute?
Ich komme aus sehr einfachen Verhältnissen. Ich bin Ausländerin mit typisch Schweizer Tugenden. Ich bin mit meiner Mama gross geworden. Ich wollte etwas erreichen, um die Familie zu unterstützen. Das war sicher der anfängliche Gedanke. Aber ich hatte Spass am Lernen, am Weiterkommen, am Sich-Weiterbilden, Lesen … Das ist ein grosser Teil von mir. Gleichaltrige Kolleginnen hatten nicht dieselben Gedanken und Ambitionen wie ich.
Hat dich das zur Aussenseiterin gemacht?
Nein, gar nicht. Nein. Ich bin einfach nicht exzessiv ausgegangen. Aber mir war absolut klar, dass ich anders war. Ich konnte mich mit Schulfreundinnen nicht austauschen, weil deren Interessenlage so anders war als die meine. Aber ich hab mich nie als Aussenseiter gefühlt – solche Gedanken hab ich mir gar nicht gemacht.
Und wie sahen deine ersten beruflichen Schritte aus?
Ich habe ein Kunstgymnasium besucht – aber abgebrochen, weil ich mit 15 allein nach Italien, nach Ligurien, geschickt wurde. Das war, glaube ich, zu viel für mich – ich fühlte mich extrem einsam. Ich kam also zurück in die Schweiz und startete direkt mit meiner Selbstständigkeit. Zuvor habe ich mich weitergebildet im Bereich Piercing und Tattoo – damals gab es das noch in Form einer Schule.
Und die Mama sagte nie, Kind, lern doch was Anständiges? Ich hatte ja auch eine italienisch-französisch- stämmige Mama, und ich habe das des Öfteren gehört …
Klar sagte sie das. Aber ich war so jung, dass sie meinte, ich hätte ja genug Zeit. Zuerst dachte sie wohl, das ist ein Scherz … (lacht). Aber die Mama war auch schon tätowiert und hat das total unterstützt!
Und wie waren die ersten Schritte mit 16 in der Selbstständigkeit?
Ach, ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Ich war ja noch nicht 18 – mein Freund aber schon, also habe ich das erste Studio gemeinsam mit ihm eröffnet. Wir hatten kein Geld – von der Mama gab es 1’000 Franken –, und wir haben uns ein kleines Studio gemietet, es monatelang selbst renoviert und dann stolz ausserhalb von Zürich eröffnet. Ich kann mich so gut noch an das komische Gefühl erinnern, als dann die ersten Kunden durch die Tür kamen. Irgendwie war ich sehr stolz. Es war so privat, als kämen sie in mein Wohnzimmer.
Und dein erster Kunde? Warst du nervös?
Nö. Ich war eigentlich nie nervös. Das Problem war, dass viele Kunden sehr viel älter waren als ich. Also habe ich gelogen, mich älter geschummelt, damit sie mich ernst nehmen. Ich erinnere mich aber, als ich die erste 50-Franken- Note auf der Bank eingezahlt hab. Wow … das war ja ein grossartiges Gefühl!
Du klingst sehr präsent und bewusst. Deine Antworten kommen schnell, wie aus der Pistole geschossen…
Heute bin ich bewusster mit all dem, was um mich herum geschieht. Aber wenn ich so zurückdenke, lief alles irgendwie so auto- matisch, von allein … schön war damals vor allem, dass andere an mich geglaubt haben. Heute wird man selbstständig, wenn man studiert hat, man macht einen Businessplan – bei mir war das alles nicht so. Es lief organisch irgendwie.
Und das Wachstum des Studios? Hattest du genaue Pläne?
Ich habe immer schon gesagt, dass ich mal ein richtig grosses Geschäft haben will. Wachstum ist absolut normal. Alles in der Welt wächst – oder geht ein. Aber ein Stehenbleiben gibt es eigentlich nicht. Man entwickelt sich weiter – oder zurück. Ich wollte immer nach vorn, nie zurück. Das war für mich immer klar.
Wenn man dir so zuhört, denkt man, das ging bei Giada immer nur nach vorn und nach oben. Gab es auch Zäsuren? Rückschläge?
Natürlich! Es gab immer wieder Momente, wo ich … ja … wo ich mich gefragt hab: Was machst du überhaupt? Ist das richtig? Willst du diese ganze Verantwortung über all diese Mitarbeiter? Beispielsweise das grosse Geschäft beim Bahnhof in Winterthur, ausserhalb von Zürich, war ein Brocken. Plötzlich hast du Bauleiter, Architekten, Bewilligungen … Das kannte ich alles bisher nicht. Bislang war alles self-made. Für mich fühlte sich das Ganze an, als wäre es grösser als ich selbst. Es kostete mich viele schlaflose Nächte. Ich habe das Unternehmen ja selbst geleitet, hatte keine Unterstützung oder Investoren. Also habe ich mir überlegt, ob ich das bewältigen kann. Aber ich habe mich entschieden, das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen. Diese Erfahrung hat mir viel beigebracht. Mittlerweile habe ich Mitarbeiter, mit denen ich mich auch mal beraten kann, die mich reflektieren können. Nach diesen schlaflosen Nächten hab ich mir ein Team zusammengestellt, welches mich stärken kann und mir die Sicherheit gibt, das Richtige zu tun. Wenn man allein ist, weiss man manchmal nicht, ob man jetzt gleich durchdreht oder eh alles halb so schlimm ist.
Bist du Künstlerin – oder Unternehmerin?
Ich fühle mich als Vollblutunternehmerin mit künstlerischer Seele. Ich tätowiere nicht mehr Vollzeit – nur noch Freunde oder Mitarbeiter. Ich fühle mich superwohl in dieser Rolle, die ich mir ja früh selbst ausgesucht hab. Das tut mir richtig gut.
Hast du dir alles selbst finanziert, auch das Wachstum?
Nun in 17 Jahren fünf Geschäfte aufzumachen ist eigentlich ein sehr langsames Wachstum. Wir haben nie Investoren gebraucht. Ich hab gespart und das wieder reinvestiert. Auch hab ich noch nie richtig viel Geld aus der Firma rausgezogen, damit wir eben weiter gesund wachsen können. Ich würde aber für einen massiven Wachstumsschritt nun auch nicht vor einem Investor zurückschrecken. Wir haben unseren mittlerweile 70 Untermietern, und dazu gehören auch jede Menge Tattoo-Artists, eine Beratung angeboten, eine Betreuung und eine Lokalität – sie arbeiten jedoch auf eigene Rechnung. So konnten wir natürlich immer ohne grosses Investment und Risiko wachsen. Jetzt stehen viele Kooperationen mit Schweizer Künstlern und Marken an und eine eigene Kollektion. Wir sehen, wie das weitergeht …
Wie fühlen sich solche Interviewsituationen für dich an? Du bist ja noch nicht 65, hast aber jede Menge zu erzäh- len. Bist du stolz auf dich?
Das ist eher ein Eindruck, den dir jeweils die Aussenwelt vermittelt. Für mich ist das ja völlig normal! Ich meine, jahrelang hat niemand Kenntnis von mir genommen. Dass ich in den Medien derart stattfinde, ist erst ein Phänomen der jüngsten Zeit. Für mich war’s immer toll, was erschaffen zu haben, was mir Spass macht, und eine Welt kreiert zu haben, in der andere sein wollen. Ich sage auch immer, dass ich keine Mitarbeiter anstelle, sondern Partner. Jeder darf und soll er selbst sein können – das ist mir sehr wichtig. Auch suche ich selbstständig denkende und unternehmerisch agierende Leute an meiner Seite. Das macht mich stolz, dass Leute an mich glauben und hier arbeiten wollen. Allein wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Ich habe dich gegoogelt … da steht „Self- made-Millionärin sticht sich reich“, und ich finde jede Menge Artikel aus dem In- und Ausland, vom Schweizer Fernsehen bis zum Boulevardtitel „Blick“ sowie Wirtschaftsmedien, die alle über dich schreiben, wie reich du bist. Ist das schräg für dich?
(zögernd) Sie verstehen es nicht, aber Journalisten sind eben so. Sie haben von Beginn an geschrieben, dass der Wert des Unternehmens auf soundso viele Millionen geschätzt wurde. Und das ist ja eine Tatsache. Das Unter- nehmen hat einen Wert so wie deines wohl auch! Das heisst aber noch lange nicht, dass ich Millionärin bin! Das haben sie dann so geschrieben, wie es sich gut macht in einer Schlagzeile. Ich bin keine Millionärin. Ich lebe nicht wie eine Millionärin und fühl mich auch nicht wie eine. Ich bin absolut und 100 Prozent bodenständig, fahre eine kleine Vespa, hab keine teuren Autos und bin absolut normal. Die Kombination von Tattoo, Reichtum und ich als Frau hat sich einfach gut gemacht – das verkauft sich wohl gut. Aber es entspricht überhaupt nicht der Realität.
Die Medien haben gern Superlative … (lacht) Ja, es schmeichelt einem, man wird natürlich schubladisiert, aber es gibt Schlimmeres, und ich sehe das locker.
Wie reagieren Männer eigentlich auf dich mit deinen Tattoos? Gibt es negative Reaktionen?
Ich bin seit zehn Jahren in einer Partnerschaft … hab immer gute Erfahrungen gemacht. Ein einziges Mal hab ich das erlebt, und zwar mit meinem heutigen Lebenspartner, als wir uns kennengelernt haben: Ich hab lange Hosen getragen, ein langärmliges Shirt – und da sagt er mir tatsächlich im ersten Gespräch, dass er Frauen mit Tattoos überhaupt nicht lässig findet (lacht). Ich dachte dann: schön blöd … aber wir haben uns dennoch wiedergesehen. Und irgendwann meinte er, dass alles so zu mir gehöre und er das gar nie so richtig gesehen hat.
Das ging mir bei meinem Mann genauso!
(Gelächter).
Aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand negativ auf mich reagiert hat, um deine Frage zu beantworten. Ich hab noch ein bisschen Platz auf meinem Körper, aber da arbeite ich gerade daran. Selbst mein Hals-Tattoo kommt gut an, lustigerweise vor allem bei älteren Menschen.
Wenn du jemanden triffst … was sagst du, wer du bist und was du tust?
Ich sage nie, dass ich Unternehmerin bin. Ich erzähle einfach, dass ich bei Giahi arbeite. Ich forciere das Thema nicht, trage den Erfolg nicht nach aussen. Das brauch ich für mein Ego nicht.
Was berührt dich in deinem Job am meisten?
Ich glaube, es sind die Geschichten hinter den Tattoos, die uns die Menschen erzählen. Wenn wir das Gesicht eines Verstorbenen tätowieren sollen zum Beispiel. Das berührt mich extrem. Das sind viele unglaubliche Geschichten, die man zu hören kriegt. Ich bin sehr sensibel und manchmal kurz davor, auch eine Träne zu verdrücken.
Und wer ist eigentlich wehleidiger? Männer oder Frauen?
(lacht). Männer … aber es gibt natürlich auch die harten Hunde.
Wie siehst du diesen Megatrend Tattoo? Mittlerweile gibt es ja kaum einen Fernsehsender, der kein Format mit Tätowierern im Programm hat …
Das ist für mich kein Trend. Natürlich gibt es immer mehr Stars, die sich tätowieren lassen, und die Akzeptanz hat sicher zugenommen. Heute ist es auch okay, wenn eine Mutter oder ein Vater den Namen des Kindes tätowiert. Aber die Materialien sind viel besser geworden, und die Künstler, die diese Branche hervorgebracht hat, sind ja unglaublich.
Es gibt Medien, die dich als zerbrechlich und dennoch tough beschreiben. Wie bist du wirklich?
Ach, sicher nicht zierlich und zerbrechlich. Ich weiss es wirklich nicht … Wer mich länger als zehn Minuten kennt und mit mir geredet hat, spürt sicher, dass ich eine toughe Persönlichkeit bin, und zwar durch und durch. Ich weiss, was ich will, und weiss auch genau, wo ich hinwill, und noch wichtiger: Ich weiss, was ich nicht will. Dennoch bin ich flexibel und offen für andere Meinungen. Wenn man so einen Weg gemacht hat, viel auf die Zähne hat beissen müssen, als Frau so viel kämpfen musste in dieser Branche …das war schon häufig richtig schwierig, denn auch diese Tattoo-Szene ist eine Männerdomäne, und ich musste lernen, mich früh durchzusetzen.
Sind die Jungs auch mal neidisch auf deinen Erfolg?
Ja, gibt es. Ich akzeptiere jede Meinung. Ich bin ein Profi in dem, was ich mache, und schau primär auf mein eigenes Business. Aber natürlich gibt es Kollegen, die meinen, es sei nicht das, was eine Frau zu tun habe.
Aber ihr seid schon die neuen Rockstars! Wenn ich an Maxime Büchi und Sang Bleu denke, dass er für Hublot oder Balenciaga designt – du hast eine Kooperation mit Montblanc vorzuweisen … das wäre noch vor ein paar Jahren schier undenkbar gewesen.
Absolut. Aber das ist bei den DJs auch so. Früher waren das die bleichen Jungs mit den Kopfhörern. Heute bist du ein Star. Schöne neue Welt!
Weiterführende Informationen:
giahi.ch
Seht Giada Ilardo live & in Farbe in unserem Ladies Drive Coffee Run auf Youtube: www.youtube.com/ladiesdrive