Auch mein Spiegel bestätigte mir jeden Morgen, wie „ungealtert“ ich immer noch wirkte. Dieser Hund! Er täuschte mich bei jedem Blick. Im Grossen und Ganzen befand ich mich in einer endlosen Samantha Fox Video-Clip-Schleife. Genau, die Samy-the-big-titts Fox. Und das hat jetzt absolut nichts mit ihren oder meinen Möpsen zu tun (das ist eine andere Geschichte), sondern vielmehr mit ihrem Song „Nothing’s gonna stop me now“.
Doch ich wurde gestoppt! Crash! Hier war sie, die Begegnung mit der dritten Art. Das Schreckgespenst des Alters. Mein ungewolltes Konterfei. Das Stoppschild der ewig geglaubten Jugend!
Das kam so: Nichtsahnend schlenderte ich während der Skiferien zum Frühstück und traf dort auf einen Bekannten, den ich vor 15 Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Hach, war das ein attraktiver Mann mittleren Alters gewesen – dazumal. Der konnte mit einer nonchalanten Art durch’s Leben gehen, sein silbernes kurzes Haar sexy in der Sonne glänzend, seine Kleidung lässig tragend und sein Lachen direkt wie von einer Trisa Werbung kommend.
Und was stand jetzt vor mir? Ein Häuflein von nichts. Der Kosmopolit glich einem Sonnenuntergang während einer Sonnenfinsternis. Ein hinkender Greis mit einem verzerrten Lächeln. Im ersten Moment war mein Mitleid gross und ich dachte so: Jö … so ein Armer. Doch wie ein Blitzschlag traf mich die Realität! Jesses Maria, dachte ich, wenn der so gealtert ist, dann können die Jahre doch auch nicht spurlos an MIR vorübergegangen sein!!!? Sieht man nur sich nur selbst altern, wenn man Freunde nach Jahren wieder trifft und diese Zeitverschiebung dann bei deren Äußerem feststellt? Ist dieser Anblick das wahre und echte Spiegelbild, das einem ohne Filter und doppelten Boden unverblümt die Vergänglichkeit zeigt? Leider nicht nur. Sondern auch die „Nicht-Reaktion“ von Menschen, die mir gegenüber seit einiger Zeit enorm zugenommen hat. Beispiel gefällig? Vor vier Jahren hörte es sich so an: „Sag mal, Jessica, wie alt bist du eigentlich?“ Ich so: „40“. Sie so: „Wow! Ich dachte, du bist erst 35.“ Und heutzutage tönt es so: „Sag mal, Jessica, ich will ja nicht unverschämt sein, du musst auch keine Antwort geben, aber welchen Jahrgang hast du?“ Ich voller Stolz: „1970!“ Die Reaktion des Gegenübers? Nichts. Einfach nichts. Höchstens ein leichtes Kopfnicken und der Blick leicht gesenkt. Ich dachte, o.k., die ist noch am Rechnen, dauert ja auch ein ganzes Weilchen, bis man bei 2014 angekommen ist. Darum doppelte ich nach: „44“. Immer noch nichts. Nada, rien de rien! Nonverbal kommt allerdings rüber: „Ja, das sieht man.“ Oder noch schlimmer: „Oh, habe dich älter geschätzt …“ Ganz arg erwischte es mich jedoch gerade jüngst, als ich eine „eigentlich“ liebenswerte, ältere Nachbarin traf: „Hi, Jessy, what are you up to tonight?“ „Going to a 50th birthday party.“ Sie so: „Yours?“ Mein oben erwähnter Albtraum wurde wahr, nur dass ich umgekehrt ihr die Handtasche entriss und sie damit traktierte. Nun ja, natürlich tat ich das nicht, ist ja verboten.
Was könnte ich dagegen tun? Einen Niqab (muslimischer Gesichtsschleier) tragen? Da würden sich Freundinnen, die sich seit Jahren nicht mehr „gesehen“ haben, wohl so begrüssen: „Hey, du hast dich in all den Jahren kein bisschen verändert.“ Botox? Auch keine Lösung, denn dann wären wir wieder bei einer anderen Art der nonverbalen Kommunikation: dem Frozen-Look. Ich denke, ich bleibe bei meinem Spiegelbild, meinem treuen unehrlichen Begleiter, der mir jeden Tag vorsäuselt, ungealtert zu altern. Ja, bei dem bleibe ich, da verdrängt es sich so schön.